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Krankenkassenbeitrag: Abschied von der Solidarität

Über eines muss sich jeder verärgerte Kassenkunde im Klaren sein: Gesundheit kostet. Die nun anstehende Beitragserhöhung bei den gesetzlichen Krankenkassen ist aber nicht weniger als der noch ein wenig schüchtern daherkommende Abschied vom solidarischen Prinzip.

Besonders spektakulär scheint die Sache ja auf den ersten Blick nicht zu sein. Beitragserhöhung bei den gesetzlichen Krankenkassen? Hatten wir doch früher alle paar Jahre mal. Die Preise steigen eben. Benzin kostet inzwischen auch mehr. Und, mal Hand aufs Herz: Acht Euro im Monat, 96 im Jahr. Kommen wir damit nicht noch ganz günstig davon, vergleichsweise? Warum plötzlich diese Verschämtheit der Kassenfunktionäre, wieso jetzt das politische Gezeter um Schuld und Verantwortlichkeit, weshalb die ganze Aufregung?

Aus zwei Gründen. Erstens: Die Krankenkassen verlangen die acht Euro, bei denen es natürlich nicht bleiben wird, pauschal. Die alleinstehende Friseurin, die finanziell kaum über die Runden kommt, muss sie genauso berappen wie der üppig verdienende Abteilungsleiter für sich, seine Frau und seine vier Kinder. Bislang richteten sich die Kassenbeiträge, zumindest bis zu einer Obergrenze, immer nach dem Einkommen. Und zweitens: Die Arbeitgeber sind raus. Sie müssen nicht paritätisch mitbezahlen, sie werden noch nicht mal mit dem Abbuchen der sogenannten Zusatzbeiträge behelligt.

Beides ist, um das klar zu sagen, ein Systemwechsel. Was wir gerade erleben, ist nichts weniger als der noch ein wenig schüchtern daherkommende Abschied vom solidarischen Prinzip. Eine Weichenstellung, die den Zug in Regionen leitet, die sich merklich frostiger anfühlen werden. Und die, auch das ist interessant, nicht etwa von den neoliberalen Gesellen einer Klientelpartei ersonnen wurde, sondern von einer Koalition der Volksparteien, mit tatkräftiger Hilfe der SPD. Die aufgesprungene FDP kann sich jetzt sogar den Luxus gönnen, die Zusatzbeiträge als Zumutung für Geringverdiener zu bezeichnen – obwohl sie selber ein Pauschalsystem ansteuert, das viel weiter will und die Hälfte der Bürger zu Sozialausgleichsbedürftigen machen würde.

Die Aufregung ist also berechtigt, auch wenn sie ein bisschen spät kommt und – weil die vergangene Wahl eben auch eine gesundheits- und sozialpolitische Richtungswahl war – im Nachhinein wohl nicht mehr viel hilft. Politisch besehen sind die acht Euro Zusatzbeitrag ja ein ganz anderes Kaliber als die zehn Euro Praxisgebühr, die seinerzeit ein ganzes Patientenvolk auf die Barrikaden brachten. Um bei den Arbeitgebern zu bleiben: Ist es wirklich sinnvoll, ausgerechnet diejenigen aus der Kostenverantwortung zu lassen, die mitverantwortlich sind für die wachsende Zahl ausgebrannter Arbeitnehmer und die gesundheitspolitisch so dringend gebraucht würden für kostensparende Prävention? Wenn die Wirtschaft das Interesse an niedrigen Beiträgen verliert, haben die Versicherten den Begehrlichkeiten der Gesundheitsindustrie noch weniger entgegenzusetzen.

Über eines freilich muss sich jeder verärgerte Kassenkunde im Klaren sein: Gesundheit kostet. Und zwar immer mehr. Ob OP-Saal, neue Arzneitherapie oder Pflegeheim: Wer mit modernster Medizin versorgt sein will, kann dies nicht zum eingefrorenen Billigtarif erwarten. Es ist wie beim Lebensmittelkauf. Wer immer nur Dumpingpreise fordert, erhält irgendwann Dumping-Qualität. Womöglich gilt das auch für die Krankenkassen: Unternehmen, die Zusatzbeiträge einfordern, müssen nicht die schlechteren sein. Vielleicht haben sie ja mehr zu bieten. Wer jetzt flott und allein aus Kostengründen seine Kasse wechseln will, sollte dies zumindest bedenken. Und natürlich, dass ihn die gleiche Zumutung über kurz oder lang wohl auch bei der momentan günstigeren Konkurrenz ereilen wird.

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