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Funding-Aufruf von "Krautreporter" mit Porträts der involvierten Journalisten.

© http://krautreporter.de/das-magazin

Krautreporter-Party in Berlin: „Ihr seid die Crowd“ - und ihr seid Kraut von gestern

Die ambitionierten Jungjournalisten des Projekts "Krautreporter" haben Unterstützer und Freunde zu einer kostenlosen Veranstaltung in Berlin eingeladen. Zwei Tage vor Ende der großen Crowdfunding-Aktion. Ein letzter Versuch, noch einige Leute zum Spenden zu animieren.

Ich bin einer der bisher knapp 9500 (Stand: 11.Juni) potenziellen Mitglieder, die das werbefreie, gut recherchierte Online-Magazin Krautreporter mitfinanzieren wollten. Wie es aussieht, werden die 15.000 Unterstützer bis Freitag nicht mehr zusammen kommen. Aber ehrlich gesagt bin ich spätestens nach der gestrigen Veranstaltung auch gar nicht mehr so traurig darüber.

Von den vielen Berichten über das angeblich so neue Konzept des Online-Magazins Krautreporter fühlte ich mich vor einem Monat sofort angesprochen. Natürlich benötigen wir einen Umschwung im Online-Journalismus. Viele Artikel (auch bei mir kommt das vor) werden gar nicht erst vergütet. Stattdessen wird entweder fleißig gekürzt oder gar nicht richtig lektoriert. Mich als Leser nerven ständig Werbebanner. Für weniger Werbung und mehr investigativen Journalismus würde ich gern 60 Euro im Jahr bezahlen. Und wenn das alle täten, gäbe es dann auch bald für jeden Online-Autoren Honorare. Natürlich möchte ich das unterstützen!

Gute Idee, schlechter Werbefilm, unausgereiftes Konzept

Auch gefiel mir, dass die Krautreporter fast durchweg junge Schreiber verschiedenster Medien sind. Was mich skeptisch machte, war der Werbefilm. Ist das nicht genau das, was wir nicht mehr wollen? Eine dramatisierende Reportagen-Hintergrund-Musik vor der ein Dutzend gepuderter Gesichter vorgeschriebene Phrasen von sich geben und in jeder Sequenz insinuieren: Wir sind geil, also gib uns dein Geld! Selbst wenn ihr geil seid: Warum benutzt ihr dann all' die ungeilen Methoden eurer konservativen Kollegen?

Trotzdem bin ich Mitglied geworden. Wie die meisten war ich einfach neugierig. Auch wenn von dieser Truppe die erhoffte Medien-Revolution nicht ausgeht. Im Moment gibt es noch keine bessere Alternative zu den Krautreportern und schließlich stimmt ja die Richtung. Das Konzept ist einfach nur noch nicht ausgereift. An dieser Stelle verweise ich auf einen offenen Brief von Dr. Ankowitsch an Sebastian Esser, den Gründer der Krautreporter. Als ersten Grund für seinen Wunsch, dass die Krautreporter scheitern, schreibt Ankowitsch: "Ihr wirkt auf mich wie eine Gruppe freier Journalisten, die darauf hoffen, angestellt zu werden - und nicht wie eine Gruppe von Entrepreneuren, die um jeden Preis eine journalistische Vision verwirklichen wollen."

Kommen, um zu Kontakte zu knüpfen

Dieser Eindruck hat sich für mich auf der gestrigen Veranstaltung in der Platoon Kunsthalle noch einmal bestätigt. Die Leute kamen, um Cocktailglas schwingend neue Kontakte zu knüpfen. Dagegen ist ja erstmal nichts zu sagen, nur fehlte der ganzen Veranstaltung total die Richtung. Die Reporter sprachen nicht von ihren Visionen, überhaupt gab es neben der Ska-Band Rupert's Kitchen Orchestra und fünf Minuten Andrea Hanna Hünniger und Jakob Augstein kaum Programm. Das fand ich etwas enttäuschend. Die Gäste stürmten wegen der Hitze nach draußen. Augstein nahm den Hinterausgang und verschwand. Das Publikum halbierte sich, wahrscheinlich waren viele nur wegen ihm gekommen.

Das neu entdeckte Prekariat

Ich schlich herum und infiltrierte andere Diskussionen: "Prekariat und Journalismus ist eigentlich 'ne gute Sache", hörte ich einen sagen. Er referierte auf einen Einwurf von Jakob Augstein. Nachdem Andrea Hanna Hünniger gesagt hatte, das Journalisten sich heute nicht selten mit Hungerlöhnen herumschlagen müssten und deshalb zum Teil des Prekariats würden, wies er darauf hin, dass eine Nähe zum gemeinen Mann ja vielleicht gar nicht so schlecht wäre. So schreibe man wenigstens nicht an der Realität vorbei. Bürgernähe als Voraussetzung für authentischen Journalismus hätte sich schließlich auch die taz auf die Fahne geschrieben. Und Werbung gäbe es dort auch nicht. Überhaupt, sei der Ansatz eines Journalismus, bei dem die Leser die Themen mitbestimmen, gar nicht so innovativ, wie einem das hier verkauft würde. Der Freitag hätte schließlich eine Community. Da könne jeder mitschreiben.

Andrea Hanna Hünniger reagierte unbeholfen. Als sie unsicher darauf hinwies, dass es bei den Krautreportern nur gut recherchierte Reportagen geben wird und keinen Meinungs- und Kolumnenteil, hakte Augstein nach: Keine Meinungen in einem Magazin? Na dann, gute Nacht!

Resigniert an einer Zigarette ziehend inspizierte ich noch einmal den Veranstaltungsflyer: "Ihr seid die Crowd" steht dort. Wer will denn eigentlich so etwas? Hier gibt es nur Jungjournalisten. Jungjournalisten, die Angst vorm Jobcenter haben, Angst vor der nächsten Steuererklärung - und deshalb fleißig lächeln und netzwerken. Wenn das die Crowd ist, dann leben wir in einer furchtbar monochromen Welt.

Mehr zur Autorin auf ihrem Blog primatberlin.com.

Johanna Sailer

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