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Kredit-Affäre: Wulff, die Schuhe und falschen Fallensteller der Opposition

Bundespräsident Christian Wulff ist im Schloss Bellevue vor dem „Stahlgewitter“ in Deckung gegangen, die Opposition nutzt die Chance, von eigenen Problemen abzulenken. In die Fallen, die sie der Union gestellt hat, könnte sie allerdings auch selbst tappen.

Seit der amerikanische Präsident George W. Buch im Dezember 2008 bei einem Besuch in Bagdad von einem irakischen Journalisten mit einem Schuh beworfen wurde, hat diese Geste der Verachtung auch im Westen eine erstaunliche politische Karriere hinter sich gebracht. Am vergangenen Samstag hat der Schuh als politische Waffe nun das Zentrum der deutschen Hauptstadt erreicht. In Berlin zogen etwa 400 Demonstranten vor das Schloss Bellevue, um mit dem Schuh in der Hand gegen Bundespräsident Christian Wulff zu demonstrieren und dessen Rücktritt zu fordern.

SPD und Grüne mochten sich dieser Forderung zwar nicht anschließen, aber zumindest symbolisch wedeln sie ganz heftig mit ihren Schuhen. Die parteipolitische Auseinandersetzung um den Bundespräsidenten ist in eine neue Phase getreten. Die Opposition hat begonnen, mit Christian Wulff und seinem Amt ihre parteipolitischen Spielchen zu spielen.

Der Strategiewechsel kam schnell. Vor Weihnachten hatten sich Sozialdemokraten und Grüne bei der Beurteilung der Kredit-Affäre des Bundespräsidenten noch sehr viel zurückhaltender gegeben und vor der Beschädigung des Amtes gewarnt. Mittlerweile aber wittern beide Parteien ihre Chance. In zahlreichen Äußerungen der letzten Tage ließen die beiden Oppositionsparteien keinen Zweifel daran, dass sie sich entschlossen haben, die schwarz-gelbe Bundesregierung sowie vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Causa Wulff vorzuführen.

Mit staatstheatralischem Blick trat zum Beispiel der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel am Wochenende vor die Kameras, nannte die Affäre „unwürdig und abstoßend“ und bot der Kanzlerin eine Art große Koalition bei der Suche nach einem Wulff-Nachfolger an.

Die Hinterlist, die die Unionsparteien in Bedrängnis bringen soll, ist nicht zu übersehen. Denn eigentlich stellt sich die Nachfolgefrage überhaupt noch nicht. Schließlich hat Christian Wulff trotz des Eingeständnisses von Fehlern und trotz des ernormen medialen Druckes mehrfach ziemlich deutlich gemacht, dass er bis 2015 im Amt bleiben will. Er gab sich entschlossen, das „Stahlgewitter“ durchzustehen. Doch mit einer vergifteten Offerte zur Zusammenarbeit kann die Opposition den Rücktritt des Bundespräsidenten fordern ohne ihn zu fordern und so den Regierungsparteien in der Causa Wulff den Schwarzen Peter zuschieben.

Auch die Grünen-Chefin Claudia Roth formulierte bereits das großzügige „Angebot“ ihrer Partei, gemeinsam mit der Union „eine geeignete Person“ zu finden und fügte dann noch hinzu, sie habe großes Interesse daran, „dass es in unserer Demokratie eine starke moralische Instanz gibt." Derweil forderte ihr Co-Vorsitzender Cem Özdemir die Kanzlerin direkt auf, sich zu den Vorwürfen gegen Christian Wulff zu äußern. Auch hier ist die parteitaktische Absicht klar. Die Kanzlerin, deren Beliebtheitswerte zuletzt wieder deutlich gestiegen sind, soll in den Strudel der Kredit-Affäre hineingezogen werden.

Doch nicht nur Merkel und ihre schwarz-gelbe Koalition haben eigentlich andere Sorgen. Die Eurokrise und die Energiewende, die Sozialpolitik oder Haushaltssanierung erfordern ihre ganze politische Aufmerksamkeit. Aber auch bei der Opposition läuft es zu Beginn des Jahres alles andere als rund. Und so scheinen sie die Gelegenheit nutzen zu wollen, um von eigenen Problemen abzulenken.

Die Grünen und ihr erster Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann stehen in diesen Tagen vor einer entscheidenden Bewährungsprobe. In Stuttgart soll nach der gescheiterten Volksabstimmung nun der Weitebau des umstrittenen unterirdischen Bahnhofs S21 beginnen. Im Schlossgarten der Stadt will die Polizei zudem möglicherweise schon in dieser Woche ein Protestcamp von Gegnern des Projektes räumen. Erinnerungen an den 30. September 2010 werden wach, als ein eskalierender Polizeieinsatz und der massive Einsatz von Wasserwerfern im Schlossgarten bundesweit Schlagzeilen machte und die Proteste gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt anheizte. Ausgerechnet ein grüner Ministerpräsident muss nun das Werk seines konservativen Vorgängers beenden. Kommt es zu ähnlich hässlichen Bildern wie vor 15 Monaten, bekommen die Grünen weit über Stuttgart hinaus ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.

Vor allem die SPD jedoch steht in den kommenden Wochen vor wichtigen personellen und strategischen Weichenstellungen mit Blick auf das Wahljahr 2013. Die innerparteilichen Konflikte sind offensichtlich, die K-Frage nicht entschieden, das parteiinterne Unbehagen gegen einen möglichen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück wächst.

Zudem wird immer offenkundiger, der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und seine Generalsekretärin Andrea Nahles ziehen nicht an einem Strang. Nahles forderte am Wochenende Neuwahlen im Fall eines Wulff-Rücktritts, Gabriel hingegen formulierte wenig später in Sachen Nachfolgersuche seine großzügige Offerte an die Union. Hinter dieser Mehrstimmigkeit verbergen sich vermutlich nicht nur Abstimmungsprobleme.

Auch im Saarland sehen sich die Sozialdemokraten seit Freitag mit einer Frage konfrontiert, die vordergründig nur das kleinste Bundesland betrifft. Nach dem Scheitern der Jamaika-Koalition klingt das Angebot der CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, in Saarbrücken als Juniorpartner in eine Große Koalition einzutreten, für den Landesvorsitzenden Heiko Maas zwar verlockend. Es könnte jedoch strategische Auswirkungen bis nach Berlin haben und hohe bundespolitische Wellen schlagen.

In der Bundes-SPD haben die Große Koalition und vor allem die Rolle des Juniorpartners der Union nach der bitteren Wahlschlappe bei der Bundestagswahl 2009 anders als in der Provinz wenig Freunde. Zu präsent ist dort bei vielen Genossen noch der dramatische Sturz auf 23 Prozent.

Die Große Koalition im Saarland wäre nach der Großen Koalition im Roten Rathaus in Berlin jedoch bereits die zweite, die beide Parteien innerhalb weniger Monate auf Länderebene schmieden. Zusammen mit einer möglichen großen Koalition bei der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten sieht das dann schon fast wie eine Strategie aus.

Solche Spekulationen können der SPD allerdings überhaupt nicht Recht sein, schließlich wollte sich die Partei in den kommenden beiden Jahren ganz darauf konzentrieren, sich zusammen mit den Grünen als Regierungsalternative zu Schwarz-Gelb zu profilieren. Die politischen Spielchen von SPD und Grünen machen also nur solange Sinn, solange beide Parteien davon ausgehen, dass Christian Wulff sich im Amt hält. Anderenfalls könnte die Opposition schnell selbst in die Falle tappen, die sie Merkel und der Union in der Kredit-Affäre des Bundespräsidenten in den vergangenen Tagen gestellt hat.

Christoph Seils leitet die Online-Redaktion des Magazins Cicero. In diesem Jahr erschien sein Buch „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“ im WJS-Verlag. Er schreibt an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche Parteienlandschaft.

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