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Krise in Irland: Gut gespielt und verloren

Die Iren haben gespielt, erst gewonnen, jetzt verloren. Schadenfreunde ist gleichwohl nicht angebracht. Denn guter Sportsgeist hindert niemanden daran, nach einer Niederlage auch mal kräftig zu schimpfen.

Der Fall Irlands ist ein Rückschlag für den Kapitalismus angelsächsischer Prägung. Schadenfreude ist gleichwohl nicht angebracht. Das an natürlichen Rohstoffen arme Land hat zwei Jahrzehnte lang jenes Modell des Neoliberalismus lehrbuchmäßiger und radikaler umgesetzt als die USA und Großbritannien, woher das Konzept ideengeschichtlich stammt: Der Staat erhebt möglichst geringe Steuern bei Unternehmen und konzentriert sich auf Bildung und die Infrastruktur. Den Rest werde der Markt schon richten, so die Theorie.

Dieses Modell hat – das muss auch linke Grundsatzkritik anerkennen – für Irland eine Weile lang ganz ausgezeichnet funktioniert. Dabei wurden im Dubliner Finanzcasino nicht nur virtuelle Werte für die oberen Zehntausend geschaffen. Nein, Iren leben heute im Schnitt wirklich in größerem Wohlstand, die Lebensqualität auch der unteren Schichten ist viel höher als vor 20 Jahren. Daran muss sich Wirtschaftspolitik messen lassen. Von dem Erfolg hat auch Europa profitiert, indem sich Irland seit seinem EU-Beitritt 1973 vom Subventionsempfänger zum Nettozahler wandelte.

Jetzt ist die Party vorbei. Vorerst zumindest. Und Europas größte Wirtschaftsmächte Deutschland und Frankreich könnten dem Impuls folgen, die Iren im Gegenzug für Kredite und Bürgschaften dazu zu zwingen, ihr Wirtschaftssystem den scheinbar überlegenen Modellen hier auf dem Kontinent anzupassen. Beiderseits des Rheins werden Konflikte zwischen Politik, Tarifpartnern und Interessenverbänden ausgehandelt. Die Steuern sind viel höher, um einen Sozialausgleich zu finanzieren. In der Theorie zumindest.

In großen Gesellschaften hat das durchaus Sinn. Im kleinen Irland dagegen wird ein Modell Deutschland nicht funktionieren. Auch aus historischen Gründen nicht: Iren sind Glücksritter, ihrem Schicksal meist ergeben. Ihre gemeinsame Identität, die viel ausgeprägter ist als in Deutschland, speist sich aus einer Kultur der Niederlage Davids. Goliaths Rolle übernahm in der Geschichte mal Gott, mal der Zufall und oft der große Nachbar England. Irlands Jugend der vergangenen 150 Jahre wuchs in dem Bewusstsein auf, dass zu Hause nur Pech und Hunger warten. Also Auswandern. Erst in den 90er Jahren wurde dieser Trend gebremst, da wurde Irland gar zum Einwanderungsland.

Die Iren haben gespielt, erst gewonnen, jetzt verloren. Zurück zum Normalzustand also. Auch der Umstand, dass kaum ein politischer Beobachter damit rechnet, dass wie in Athen Autos brennen und Polizisten verdroschen werden, sobald die Regierung am heutigen Tag ihr extrem hartes Sparpaket vorstellt, ist ein Indiz dafür, dass die Iren nicht fremden Mächten die Schuld geben, sondern sich selbst, der selbst gewählten Regierung – und eben dem Schicksal.

Die konservativ-grüne Regierung tut nun das, wovon die meisten Inselbürger ahnen, dass es das Richtige ist: Sie hat Hilfszahlungen beantragt und wird wohl auch Kredite aus Großbritannien annehmen. Das ist ein Vorgang, der viele Iren tief kränkt, kratzt er doch an der 1922 erlangten politischen Unabhängigkeit vom Empire. Dann, so kündigten die Grünen an, werden sie aussteigen. Im Januar wird es Neuwahlen geben, sagte Ministerpräsident Cowen am Abend. Da, Schicksal hin oder her, werden die Wähler die Regierungsparteien abstrafen. Schließlich sind auch gute Verlierer nach einer Niederlage machmal unfair – und fordern zuerst den Rauswurf des Trainers.

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