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Meinung: Krise in Nahost: Leitartikel: Nicht klug, nur schlau

Alle durchschauen alle, aber keiner versteht den anderen. So sieht es in diesen Tagen im Nahen Osten aus.

Alle durchschauen alle, aber keiner versteht den anderen. So sieht es in diesen Tagen im Nahen Osten aus. Beginnen wir mit dem Mann, der noch für ein paar Wochen das Heft in der Hand halten wird: Ich bringe den Friedensvertrag und Netanjahu bringt den Krieg - mit dieser Formel will der israelische Regierungschef Ehud Barak die Wahlen gewinnen. Er muss zu einem Abkommen mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat kommen, will er sich eine echte Wahlchance ausrechnen dürfen.

Deshalb sind in den nächsten Wochen intensive und höchst geheime israelisch-palästinensische Verhandlungen zu erwarten und - als Sperrfeuer gegen diese Verhandlungen - islamistische Terroranschläge zu befürchten. Barak muss alles auf die eine Karte namens "Abkommen" setzen. Arafat weiß das. Versteht er es auch? Barak muss jetzt äußerst vorsichtig agieren. Denn wenn er auch nur einen Zentimeter bei der Gebietsrückgabe zu weit geht, bedeutet das sein endgültiges Aus. Baraks Hoffnung gründet also einzig und allein auf dem Verständnis Arafats für seine Situation, auf der Einsicht des Palästinenserführers, dass er weder von Benjamin Netanjahu noch gar von Ariel Scharon auch nur einen Bruchteil dessen erhalten kann, was ihm Barak in Aussicht gestellt hat. Arafat kennt dessen Abhängigkeiten. Was kann er dann noch mehr von ihm verlangen? Kann Barak überhaupt mehr geben, als er es in Camp David schon getan hat? 92 - 95 Prozent des Westjordanlandes bot er an und den gesamten Gazastreifen als Staatsgebiet eines künftigen Palästina, einschließlich arabisch bevölkerter Stadtteile und Altstadtviertel Ostjerusalems, sowie mehr oder weniger eine Beibehaltung des Status Quo auf dem Tempelberg. Dies war Arafat damals nicht genug. Heute müsste es ihm reichen.

Denn Netanjahu und dessen chancenloser parteiinterner Gegenkandidat Scharon haben bisher keinen einzigen konkreten Vorschlag als Alternative zu dem von ihnen für tot erklärten Osloer Friedensprozess und zu den von ihnen in die Nähe des Landesverrates gerückten Vorschlägen von Camp David vorgelegt. Sie sprechen von militärischer Macht, mit der die "Al Akza-Intifada" zerschlagen werden müsse, von einer die Palästinenser verängstigender Vergeltung und einer die arabische Welt beindruckenden Abschreckung. Können sie auch nur einen kleinen Teil von dem halten, was sie da versprechen? Sie können es nicht.

Barak hat den Palästinensern viel, Netanjahu hat ihnen gar nichts versprochen. Trotzdem erklärt nun Arafat, aus seiner Sicht sei es gleichgültig, ob Barak oder Netanjahu die Regierung führe. Die palästinensische Seite beweist mit dieser Argumentation, dass sie zwar alles durchschaut, was auf der Gegenseite geschieht, aber nichts versteht, keinerlei Ahnung von den offenen und verdeckten inner-israelischen Strömungen hat.

Wenn die Israelis, die laut Meinungsumfragen mit großer Mehrheit noch immer für einen Friedensvertrag mit den Palästinensern eintreten und dafür einen hohen territorialen Preis zu zahlen bereit sind, trotzdem nicht Barak ihre Stimme geben wollen, sondern Netanjahu, dann hat dies zwei Gründe: Die Hoffnung auf den starken Mann, der Barak mit seinem hastigen und nicht mehr verfolgbaren Zickzack-Kurs nicht mehr ist, und die Hoffnung, dass Netanjahu seinerseits aus eigenen Fehlern gelernt habe.

Worauf die palästinensische Führung hofft, ist dagegen noch schwerer nachzuvollziehen. Im Moment setzen sie auf den Ausgang der US-Wahlen, darauf, dass George W. Bush Netanjahu am besten unter Druck setzen könnte. Man sollte auf halb durchstochene Wahlzettel keinen Staat gründen wollen.

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