zum Hauptinhalt
Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan und sein russischer Kollege Wladimir Putin.

© dpa

Krisenregion Mittelost: Türkei und Russland: Ein Donnergrollen wie 1914

Noch klingt es nur nach Scharmützeln und Provokationen, aber der Konflikt zwischen der Türkei und Russland könnte sich zum Krieg auswachsen. Die Türkei ist Nato-Mitglied und die Nato gibt Bündnisverpflichtungen vor - und damit hat die aktuelle Situation eine beunruhigende Ähnlichkeit zu 1914.

Als wären der Nahostkonflikt um Palästina, Israel und die besetzten Gebiete sowie die permanenten Verwünschungen des Iran gegen den jüdischen Staat nicht schon dramatisch und friedensgefährdend genug, eskaliert innerhalb weniger Wochen an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei eine weitere Krise bis an den Rand eines Krieges. Die brutalen Attacken des Regimes Assad gegen die eigenen Bürger ziehen mehr und mehr die Nachbarstaaten in Mitleidenschaft.

Mehr als 100 000 Syrer sind in türkische Lager geflüchtet. Syrisches Militär schießt ein türkisches Kampfflugzeug ab, syrische Granaten töten türkische Zivilisten. Türkisches Militär wehrt sich seinerseits durch Beschuss syrischer Stellungen und zwingt zwei syrische und armenische Zivilflugzeuge zur Zwischenlandung, weil diese verdächtigt werden, militärisches Gerät für Assads Soldaten zu transportieren.

Was noch nach Scharmützel klingt, kann sich zum Stellvertreterkrieg zwischen dem Nato-Mitglied Türkei und dem mit Russland verbündeten Syrien auswachsen. Auf beiden Seiten der Grenze haben Politiker das Sagen, an deren Besonnenheit zu zweifeln ist. Dem Diktator Assad ist im Moment des Sturzes Hitler’scher Vernichtungswahn auch gegen das eigene Volk und dessen Nachbarn zuzutrauen.

Der türkische Regierungschef ist mit seinem Traum von der mit allen Anrainern versöhnten Regionalmacht Türkei gescheitert und lebt stattdessen jetzt mit allen größeren Nachbarn im Streit. Sein ungebrochener Geltungsdrang und sein Misstrauen gegenüber den eigenen Nato-Partnern machen ihn zu einem heiklen Verbündeten. De-Eskalationsstrategien erscheinen ihm als Schwäche. Stattdessen lässt er seinen Außenminister an den Beistandspakt erinnern, der alle Mitglieder der Militärallianz verpflichtet, einem angegriffenen Mitglied zur Hilfe zu eilen.

Nur, was geschieht, wenn der Angegriffene leichtfertig oder gar mutwillig handelt oder sich dazu provozieren lässt, weil Abwarten als unehrenhaft gilt? Erdogan beschwört das Bild einer christlich- abendländisch geprägten Nato, die die Muslime im Zweifel alleine lässt. Die historische Folie für diese Albtraumfiktion ist das Massaker von Srebrenica, wo westliche Truppen 1995 nicht verhinderten, dass in einer UN-Schutzzone 8000 muslimische Jugendliche und Männer von serbischer Soldateska massakriert wurden.

Die wahre Dimension dieser tatsächlichen Schande von Srebrenica hat Erdogan dabei noch nicht einmal erkannt. Es waren Franzosen und Engländer, die in einem stillschweigenden, aber umso skandalöserem Aufleben der Weltkrieg-I- Allianz mit den Serben diesen viel zu lange Raum und damit Gelegenheit für ihre furchtbaren Taten ließen.

Die Sorge vor einer Wiederholung der 1914 zwanghaften Bündnisverpflichtungen, die jedes rationale Reflektieren der Situation ausschlossen und damit zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führten, ist es denn auch, die die Nato heute umtreiben sollte. Sie darf sich nicht an der türkisch-syrischen Grenze in einen Krieg hineinziehen lassen. Wenn nicht alles täuscht, stehen hinter den verbalen Beistandsbekundungen des Westens für die Türkei auch unübersehbar groß die Mahnungen an die Regierung in Ankara, kühlen Kopf zu bewahren.

In einer derart instabilen Region ist die Lage der einzigen gewachsenen Demokratie, der Türkei, auch wegen ethnischer und religiöser Gegensätze schwierig. Auf der türkischen Seite der Grenze zu Syrien, einer vor fast 100 Jahren künstlich gezogenen Trennlinie zwischen beiden Staaten, leben viele Aleviten. Die Flüchtlinge sind vor allem sunnitisch.

Der Konflikt zwischen beiden Strömungen heizt auch den Bürgerkrieg in Syrien selbst an. Der Krieg im Irak hat im Westen dieses Landes zu einer weitgehenden kurdischen Autonomie geführt, die den Selbstbehauptungswillen der Kurden im Osten der Türkei stärkt.

Was auch immer Syriens Verbündeter, Russland, letztlich beabsichtigt: die Position der Türkei, ihre West-Bindung soll geschwächt werden. Das war auch vor 50 Jahren so, als die Lösung der Kubakrise erst möglich wurde, weil die Amerikaner ihre Raketen aus der Türkei abzogen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false