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Menschen mit Europa-Flagge

© AFP

Kroatien tritt der Gemeinschaft bei: Die EU droht sich zu überdehnen

Der EU-Beitritt Kroatiens gilt als Beitrag Europas zur Stabilisierung des Balkans. Allerdings droht der ständig wachsenden Gemeinschaft die Gefahr der Überdehnung - sie muss dringend reformiert werden.

Echte Feierstimmung will nicht aufkommen – weder in Zagreb noch in Brüssel. An diesem Montag wird Kroatien der 28. Mitgliedstaat der Europäischen Union. Am Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission in Brüssel wird das Land mit einem riesigen Transparent in der Gemeinschaft willkommen geheißen. Aber die offiziellen Verlautbarungen zum Beitritt Kroatiens dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Frage nach einer Überdehnung der EU inzwischen ernsthaft stellt.

Zunächst einmal ist die Sorge, dass die EU mit Kroatien einen weiteren Krisenstaat in die Union hineinholt, nicht ganz unbegründet. Seit 2009 befindet sich das Land in der Rezession. Ob die Wirtschaft dank des Beitritts wieder florieren wird, ist offen. Weil Kroatien kein Euro-Mitglied ist, droht das Land zwar nicht zur Belastung für die Gemeinschaftswährung zu werden. Aber neben der wirtschaftlichen Misere dürfte vor allem Kroatiens Kampf gegen die Korruption im Fokus der übrigen Europäer bleiben.

Wer verstehen will, warum die EU ausgerechnet in Krisenzeiten einen Staat wie Kroatien an den Tisch bittet, muss in die jüngere Geschichte blicken. Vor zwei Jahrzehnten herrschte auf dem Balkan ein blutiger Krieg. Hunderte Bundeswehrsoldaten sind bis heute im Kosovo stationiert; die Menschen in der Region versuchen immer noch, ihren Frieden mit der Vergangenheit zu machen. Aus diesem Grund ist die EU die Verpflichtung eingegangen, einen Beitrag zur Stabilisierung des westlichen Balkans zu leisten. Anfang des kommenden Jahres sollen Beitrittsgespräche mit Serbien beginnen. Auch Montenegro, Kosovo, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien haben eine Beitrittsperspektive.

Die EU braucht neue Führungsstrukturen

Die EU wird also auch noch über Kroatien hinaus wachsen – nicht unbedingt schon im nächsten Jahr, aber absehbar. Allerdings lässt sich der Wunsch nach einer endgültigen Befriedung des Balkans nicht mit der Tatsache vereinbaren, dass die EU bis auf Weiteres strukturell gar nicht über die Führungsstrukturen verfügt, die die Existenz Dutzender von Mitgliedern eigentlich erfordert. Die seinerzeit geplante Reform ist mit dem Scheitern des EU-Verfassungsvertrages 2005 auf halber Strecke stecken geblieben.

Genau um diese Frage muss es gehen, wenn über den Beitritt weiterer Balkanländer und der Türkei diskutiert wird. Europa mag mit der Türkei strategische Interessen verfolgen, es mag ein Wert an sich sein, einen muslimisch geprägten Staat an die EU zu binden. Diese Überlegungen sind aber wertlos, wenn die EU sich erst überdehnen und dann zerbröseln würde. In der Euro-Krise hat sich die EU als handlungsfähig erwiesen – aber auch nur, weil die Nationalstaaten das Heft in die Hand genommen haben. Allerdings müsste auch das „normale“ Geschäft der EU funktionieren, selbst wenn sie sich bis in die Türkei erstrecken sollte. Eine gemeinsame Agrarpolitik von Dublin bis nach Ankara? Nach gegenwärtigem Stand der Dinge erscheint sie undenkbar.

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