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Künstliches Leben: Homo creator

Künstliches Leben wird kommen. Das ist erst einmal nicht schlimm. Schlimm ist nur, wenn wir zum Homo creator werden, ohne den Namen Homo sapiens wirklich zu verdienen.

Als Carl von Linné vor 250 Jahren das Reich der Lebewesen ordnete, fand er für den modernen Menschen einen bezeichnenden Namen: Homo sapiens, der weise Mensch. Tatsächlich hat sich der Mensch mit seinem Geist einen Großteil der Natur untertan gemacht – und schickt sich nun sogar an, zum Schöpfer zu werden.

Das jedenfalls ist Craig Venters erklärtes Ziel. Der Forscher hat eine Buchstabensequenz am Computer zusammengestellt, sie aus den vier Bausteinen unseres Erbguts synthetisiert und dann in eine lebende Zelle verpflanzt, die sich dem Diktat der Gen-Software beugte – und in eine neue Art verwandelte. Die Konsequenz scheint klar zu sein: Leben ist machbar.

Entspannt euch, rufen manche Forscher, der blaue Keimschleim in Venters Petrischale ist noch kein künstliches Leben. Nur das Erbgut ist künstlich, als Chassis benötigte Venter eine lebende Zelle. Und bis auf ein paar Spielereien handelt es sich um ein normales Erbgut. Selbst dafür benötigte er mehr als zehn Jahre und 40 Millionen Dollar. Mikroben vom Reißbrett werden nicht morgen die Welt bevölkern.

Trotzdem empfinden viele die Nachricht als vage bedrohlich. Bioethiker warnen vor der Zwillingsgefahr von Bioerror und Bioterror: Unabsehbaren Folgen von Designermikroben, die eben wirklich ein eigenes Leben entwickeln, und der Gefahr einer Art nuklearer Proliferation, die es Low-Tech-Terroristen erlaubt, Biowaffen zu synthetisieren. Schon 2002 haben amerikanische Forscher das Poliovirus nachgebaut und damit Mäuse infiziert. Aber die Technik bietet große Chancen – auch jenseits allzu vollmundiger Versprechungen. Medikamente billiger und Impfstoffe schneller herzustellen, CO2 in einen Rohstoff zu verwandeln, das erscheint durchaus machbar.

Vor zehn Jahren verkündete US-Präsident Bill Clinton, das menschliche Erbgut sei entziffert. Der Mensch könne nun die Sprache lesen, in der Gott das Leben erschaffen habe, sagte er damals. Venter hat gezeigt, dass der Mensch in dieser Sprache nicht nur lesen, sondern auch schreiben kann. Natürlich beginnt er gerade erst, die Sprache zu lernen. Wie ein Grundschüler schreibt er im Moment vor allem nach, was ihm präsentiert wird. Er kreiert nicht, er kopiert. Von der genetischen Grammatik verstehen wir wenig. Aber die unausweichliche Tatsache ist, dass wir darauf zusteuern, selbst zum Schöpfer zu werden. Die Frage ist nicht, ob wir in der Zukunft in der Lage sein werden, Lebewesen am Reißbrett zu entwerfen, sondern wie diese Lebewesen aussehen werden und wer sie unter welchen Bedingungen herstellt.

Eigentlich sollte die Gesellschaft diesen Rahmen gestalten. Doch zur Zeit sind es vor allem Ölmultis und Autokonzerne, die die Forschung finanzieren. Sollte Venter mit seinen Fortschritten schneller als erwartet sein, ist eine von Patentanwälten und Betriebsgeheimnissen gesicherte Vormachtstellung zu befürchten, eine Art Microbesoft. Das Leben 2.0 würde privatisiert.

Um dem entgegenzuwirken, benötigen wir öffentliche Forschung und offene Diskussion, Reflexion und mehr als ethische Reflexe. Dafür müssen wir alle uns mit der Wissenschaft auseinandersetzen, so kompliziert sie ist. Künstliches Leben wird kommen. Das ist erst einmal nicht schlimm. Schlimm ist nur, wenn wir zum Homo creator werden, ohne den Namen Homo sapiens wirklich zu verdienen.

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