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Die Glaubwürdigkeit der Weltgemeinschaft steht in Rio auf dem Spiel, meinen unsere Autoren.

© Reuters

Kurz gesagt: Die Glaubwürdigkeit der Weltgemeinschaft steht auf dem Spiel

Am Mittwoch beginnt die UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung. Statt mutige Reformen vorzubereiten, ist im Vorfeld am kleinsten gemeinsamen Nenner gefeilt worden. Nun ist es an den Staats- und Regierungschefs, den Stau aufzulösen, meinen unsere Gastautoren.

In Rio gibt es dieser Tage viele Staus. Und das nicht nur entlang der Copacabana, sondern auch auf dem Weg zum Rio Centro - dem größten Konferenzzentrum Lateinamerikas, in dem zurzeit die letzten Vorverhandlungen für die große Rio+20 UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung laufen, zu der vom 20. bis 22. Juni mehr als 130 Staats- und Regierungschefs erwartet werden.  Bislang befanden sich leider auch die Verhandlungen im Stau. Bis letzten Freitag - dem Ende der offiziellen Vorverhandlungen - konnte über 199 Paragraphen des Schlussdokuments noch keine Einigung erzielt werden. Samstag hat das Gastland Brasilien die Führung weiterer informeller Verhandlungen übernommen und einen neuen Vorschlag für einen Konsenstext vorgelegt, der aktuell verhandelt wird. Zwar gibt der 50-seitige Text Hoffnung auf wenigstens einige greifbare Ergebnisse, aber wirklich zufrieden mit seinen Inhalten sind wenige - insbesondere die NGOs kritisieren, dass zu wenig Konkretes und Verbindliches darin stehe.  Der Text falle teilweise sogar hinter die Ergebnisse von vor zwanzig Jahren zurück.

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Immerhin geht es um nicht weniger, als den Weg zu wirtschaftlichem Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit für alle bei gleichzeitiger ökologischer Verträglichkeit zu ebnen. Ein hehres Ziel, an das man in Zeiten der Finanzkrise kaum mehr glauben mag. Das dahinterstehende Konzept heißt im UN-Jargon "Grüne Ökonomie im Kontext nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung". Im Unterschied zu 1992 geht es jetzt allerdings nicht mehr allein um die Festschreibung des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung. Vielmehr wollen sich die Staats- und Regierungschef auch darauf einigen, wie dessen  schwierige Umsetzung im alltäglichen Wirtschaften erfolgen soll. Ein Versuch, der bereits auf dem Weltgipfel in Johannesburg 2002 unternommen wurde  - mit beschränktem Erfolg. In Rio werden nun konkrete Instrumente diskutiert: Saubere Technologien sollen gefördert, umweltschädliche Steuern und Subventionen abgebaut und der vielfältige wirtschaftliche Nutzen der Natur in Form von Preisen in Wert gesetzt werden. Der Abbau von Subventionen fällt auch der EU nicht leicht, aber vor allem sind viele Entwicklungs- und Schwellenländer skeptisch, da sie sich nicht vorschreiben lassen wollen, wie sie sich zu entwickeln haben. Zudem befürchten sie einen "grünen" Protektionismus und "grüne" Konditionalitäten in der Entwicklungszusammenarbeit. Zivilgesellschaftliche Gruppen kritisieren, das Konzept ökonomisiere die Natur - sie halten das für den falschen Weg. Vermittelnd formuliert der neue Textentwurf nun, die "Grüne Ökonomie" sei "ein wichtiges" Mittel zur Umsetzung nachhaltiger Entwicklung.
Die Reform der Vereinten Nationen fällt kleiner aus als gedacht
Um den Wandel in Richtung Nachhaltigkeit besser unterstützen und begleiten zu können, sollen in Rio auch die Vereinten Nationen reformiert werden. Hierfür standen zunächst große Pläne auf dem Papier: die Schaffung einer vollwertigen UN-Umweltorganisation und eines tatkräftigen Rates für Nachhaltige Entwicklung. Beide Ideen wurden mittlerweile klein gekocht: Bitte keine neuen Institutionen, lautet das Credo, stattdessen ein wenig Reform hier und da. Mehr Geld kosten darf es aber keinesfalls. Nach dem neuen Textentwurf sollen nun sowohl das UN-Umweltprogramm als auch die UN-Nachhaltigkeitskommission geringfügig  aufgewertet werden, ohne jedoch ihren institutionellen Status im UN-System entscheidend zu verbessern. Unter anderem die EU wollte und will mehr, scheiterte aber bislang am Widerstand derer, die auf ihre Souveränität pochen und/oder nicht mehr zahlen wollen. Mehrere Entwicklungs- und Schwellenländer fürchten "Aufsichtsbehörden", die sie kontrollieren und in ihrer Entwicklung behindern. Dabei könnten reformierte UN-Institutionen ihnen endlich den Zugang zu finanziellen Hilfen und technologischen Innovationen verschaffen, den sie so drängend fordern und für eine umweltverträgliche Entwicklung benötigen. Die Industrieländer ihrerseits wollen sich ohnehin nichts vorschreiben lassen und wollen bzw. können angesichts der Krisen im eigenen Land kein zusätzliches Geld für "noch mehr UN-Bürokratie" zahlen. Auch für sie aber würden sich die Mehrkosten mittelfristig lohnen, wenn dadurch bereits getroffene Entscheidungen endlich umgesetzt und so Folgekosten für Mensch und Umwelt vermieden würden. Wenn die EU und andere den Entwurf noch verbessern wollen, müssen sie in den verbleibenden Tagen weitere Überzeugungsarbeit leisten.

In Rio fehlt vor allem das Vertrauen in den politischen Willen der jeweils anderen Seite, das Ruder in Richtung nachhaltiger Entwicklung herumzureißen. Statt mutige Reformen vorzubereiten, feilten die Verhandlungspartner bislang am "wording" des kleinsten gemeinsamen Nenners. Dabei gilt es doch, das Momentum "Rio+20" zu nutzen und gerade jetzt die Dinge zu erledigen, für die man die Entscheidungsfähigkeit der Staats- und Regierungschefs braucht, denen der Gipfel wichtig genug ist, um anzureisen und selbst in die Verhandlungen einzugreifen.  Noch ist Zeit. Die Handlungsfähigkeit der viel beschworenen "Weltgemeinschaft" und der Vereinten Nationen als ihrer Plattform steht vor einem neuen Test. Wer schaltet die Ampeln in den Köpfen auf Grün und löst die Staus auf?  Die Hoffnung liegt nun auf den Staats- und Regierungschefs: Sie müssen durch mutige Schritte und glaubwürdige Zusagen dafür sorgen, dass zusätzliche Bewegung in die Verhandlungen kommt. Es ist an ihnen, sich auf ein Abschlussdokument zu einigen, dass am Ende nicht nur wenig ambitionierte Absichtserklärungen, sondern eine Anleitung für die dringend notwendige Umsetzung nachhaltiger Entwicklung enthält.

Marianne Beisheim, Birgit Lode und Nils Simon arbeiten an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu multilateralen Verhandlungsprozessen in den Vereinten Nationen im Themenbereich Nachhaltige Entwicklung. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt" Zum Thema ist kürzlich auch die SWP-Sammelstudie "UNCSD Rio 2012 - Zwanzig Jahre Nachhaltigkeitspolitik - und jetzt ran an die Umsetzung?" erschienen.

Marianne Beisheim, Birgit Lode, Nils Simon

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