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Meinung: Lärmen statt lernen

Von Simone von Stosch Nur im Fußball spielt Deutschland vorn. Den sportlichen Stolz braucht es derzeit auch, um die schlechten Nachrichten zu verdauen, seien es die vom Arbeitsmarkt, der Wirtschaft oder eben: der Bildung.

Von Simone von Stosch

Nur im Fußball spielt Deutschland vorn. Den sportlichen Stolz braucht es derzeit auch, um die schlechten Nachrichten zu verdauen, seien es die vom Arbeitsmarkt, der Wirtschaft oder eben: der Bildung. In der Schulpolitik ist schon der Begriff „2. Liga“ eine höfliche Umschreibung. Da alle das wissen und keiner geneigt ist, eigene Fehler einzugestehen, da auch hier der Mut zu Reformen fehlt, überrascht es nicht, dass alle Seiten in alte Reflexe verfallen:

Die Union fordert mehr Wettbewerb, die SPD flüchtet sich aus den unerquicklichen Pisa-Ergebnissen in den Ruf nach Zentralismus. Der Kanzler möchte die Bildungskompetenzen am liebsten ganz auf den Bund übertragen, seine Bildungsministerin erwägt dafür sogar Verfassungsänderungen.

Das ist abenteuerlich. Nicht nur, weil es dafür nie und nimmer eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag gäbe, sondern auch, weil der Ruf nach Zentralisierung ein Rückfall in die – längst über Bord geworfene? – sozialdemokratische Bildungspolitik ist. Mit Vereinheitlichungen statt Vielfalt, mit zentralen Rahmenrichtlinien und Reformen von oben wollte man in den 70ern „gleiche Chancen für alle“ schaffen. Dass dies kein Königsweg war, ist jetzt in den Ländern zu sehen, die diesen Weg besonders konsequent beschritten haben: Dort sind die Ergebnisse der Pisa-Studie besonders schlecht ausgefallen. Diese Fehler auf Bundesebene zu wiederholen, wäre fatal.

Der Aufschrei der Union und das Gezeter der Landesfürsten sind trotzdem verlogen. Besonders die unionsgeführten Länder pochen jetzt auf die föderale Eigenständigkeit, das offenbart ein zentrales Problem des Föderalismus: Den Ländern liegt vor allem eines am Herzen – ihr eigenes Wohl.

Auch die Union weiß: Der Gedanke vom freien und fairen Bildungswettbewerb existiert nur in der Theorie. Denn die Länder haben mit recht unterschiedlichen Problemen zu kämpfen. Das Sozialgefälle ist enorm, die Finanzkassen sind höchst unterschiedlich gut gefüllt; all das hat Auswirkungen bis in die einzelnen Klassenzimmer.

Die Bildungsexperten erklären zwar, dass es keinen direkten Zusammenhang gibt zwischen dem Bildungsetat der Länder und dem, was dabei herauskommt, aber es gibt offenbar eine Art „Stimmungszusammenhang“: Dort, wo die finanzielle Situation besser, die Arbeitslosigkeit geringer, die Perspektiven größer sind, sehen Schüler mehr Sinn im Lernen, dort gibt es offenbar eine bessere Schulkultur. Und auf die kommt es, jenseits der ideologischen Grabenkämpfe, vor allem an: ob Lernen zum Frust führt oder ermutigt, ob Schule selektiert oder unterschiedliche Begabungen intelligent fördert. Wie wenig dies mit dem schlichten Denken in Schwarz-Rot zu tun hat, zeigen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Beide Länder sind unideologische Wege gegangen, mit Erfolg. Baden-Württemberg hat mit dem Berufsgymnasium geschafft, wovon viele SPD-regierte Länder träumen: den Weg zum Abitur auch für die unteren Schichten zu öffnen – bei vergleichsweise hohem Leistungsstandard.

Die Beispiele zeigen, dass der Föderalismus im Bildungssystem sein Gutes hat. Um Reformen allerdings kommt kein Bundesland herum. Der Bund kann – und soll – dabei helfen. Zum Beispiel mit Finanzspritzen, die an konkrete Vorgaben gekoppelt sind, wie jetzt für die Ganztagsschulen. Auch ein unabhängiger nationaler Bildungsrat, der Konzepte für die Modernisierung von Unterricht und Schule entwickelt, ist sinnvoll, nationale Mindeststandards ebenso. Für all das muss man nicht die Verfassung ändern – nur über ein paar ideologische Hürden springen. Ganz sportlich.

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