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Meinung: Leben jenseits der Akten

Damals befürchteten viele Mord und Totschlag. Das Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes stieß ja die Tür auf zu einer völlig neuen Erfahrung.

Damals befürchteten viele Mord und Totschlag. Das Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes stieß ja die Tür auf zu einer völlig neuen Erfahrung. Dass Abertausende von Opfern in Akten von zig Kilometern Länge ihre Verfolger würden identifizieren können, konnte schon den Schluss nahelegen, nun beginne - wie Wolfgang Thierse vermutete - ein Prozess "mit Verletzungen, mit Beleidigungen, mit Wut und Verzweiflung und Emotionen". So ist es nicht gekommen. Der öffentliche Friede ist nicht in Frage gestellt worden. Aber hat das Gesetz erreicht, was es erreichen sollte - Aufklärung, Aufarbeitung, gar so etwas wie das Frei-Werden von der Vergangenheit? Im manchen Fällen mag das gelungen sein, in anderen nicht. Mehr Erfolg zu erwarten, wäre wohl auch unbillig gewesen. Das Problem liegt anderswo: in der Gefahr, das Unrecht und die Bedrückung durch das DDR-System auf das zu reduzieren, was die Stasi angerichtet hat. Gemäß dem alten Historiker-Vorurteil, dass nur das existiere, was in den Akten ist, droht diese Betrachtungsweise, das Bild der DDR-Geschichte zu verschieben. Zu befürchten ist hier eine andere Dialektik der Aufklärung: von notwendiger Erkenntnis zu neuer Blindheit.

Rdh

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