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Meinung: Lebenslüge Prekariat

Allein ein starker Staat kann den Verarmten helfen

Allein ein starker Staat kann den Verarmten helfen Von

So einfach kann man es sich nun auch nicht machen. Wenn einige SPD-Linke ihrer eigenen Regierung jetzt vorwerfen, Millionen Menschen in die Armut gestürzt zu haben, werden Ursache und Wirkung verwechselt. Nicht Gerhard Schröder hat mit seinen unvollendeten Reformen die Armut im Land vergrößert, vielmehr ist es ihm nicht gelungen, die Armutsfolgen der Globalisierung für Deutschland entscheidend zu mildern.

Und das dürfte auch seiner Nachfolgerin nicht leichtfallen. Denn die von den Neoliberalen ununterbrochen als wirtschaftliches und soziales Heilmittel empfohlene Liberalisierung des Arbeitsmarktes mag zwar mehr bezahlte Arbeit schaffen, aber eben solche, die die Arbeitenden nicht in Würde ernährt – also Billigjobs, denen in Deutschland leider keine Billigmiete und auch kein Billigsprit gegenüberstehen. Weder Angela Merkel noch Kurt Beck haben bisher eine Antwort auf die Frage, wie man einfache Arbeit für einfache Arbeitnehmer im Lande hält, ohne ihnen Löhne à la Bratislava und Lemberg oder gar à la Kalkutta und Schanghai zuzumuten.

Denn das ist ja das Fatale an der globalisierten Wirtschaft. Nicht Anpassung nach oben, sondern nach unten ist Trumpf, nicht Frankreich und Deutschland und nicht einmal die USA bestimmen das weltweite Lohnniveau, sondern Indien und China. Was bei abgeschotteten Märkten unmöglich war, die Auswanderung von Arbeitsplätzen, ist jetzt eine tägliche Herausforderung.

Zurück bleiben die Menschen, um die sich die Gemeinschaft kümmern muss. Es ist eben nicht so, wie uns Oskar Lafontaine glauben machen will, dass höhere Löhne zu mehr Konsum und Arbeitsplätzen führen, da die neuen Arbeitsplätze nicht bei uns, sondern in anderen, billigeren Teilen der Welt entstehen. Die Folge ist jene neue Unterschicht, von der plötzlich alle reden, jene 30 Prozent Modernisierungsverlierer, die schon der verstorbene Peter Glotz als das drängendste Problem der Sozialdemokratie ausgemacht hat. Ihnen durch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes helfen zu wollen, grenzt an Zynismus, sie durch Ausbildung zu Höherem zu befähigen, zeugt von Weltfremdheit.

Bleiben der klassische Protektionismus, den Gabor Steingart empfiehlt und dessen historische Bilanz so negativ nicht ist, wie unsere Wirtschaftseliten behaupten, und eine staatliche Schutzpolitik à la Bismarck, also ein Gutsherrenpaternalismus, der zwar nicht ganz zur viel beschworenen Eigenverantwortung passt, aber immerhin ein einigermaßen menschenwürdiges Leben garantieren kann.

Es wird Zeit, dass man die Tatsachen ehrlich benennt und nicht mittels Sprachverboten die Wirklichkeit verdrängt. Auch Prekariat ist eine Lebenslüge. Dass Deutschland keine Klassengesellschaft sei und keine Schichten kenne, kann nur behaupten, wer in gepanzerten Limousinen durch deutsche Großstädte fährt.

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