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Meinung: Leicht können sie

Südafrika ist ein zerrissenes Land – doch die WM kann etwas mehr Einheit bringen

Sätze, die mit „die Südafrikaner“ anfangen, sind selten zutreffend – mit einer Ausnahme: „Die Südafrikaner sind sehr verschieden.“ Eine Beobachtung überschreibt die vorhergehende, einem Schritt nach vorn folgt ein Schritt zurück, und am Ende bleibt nur ein diffuser Eindruck. Auch heute, 20 Jahre nach Ende der Apartheid und zwei Tage vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft, ist Südafrika ein „Ja, aber“-Land.

Die Not in Townships wie Alexandra ist niederschmetternd – ja, aber der Überlebenswille der Menschen dort ist eindrucksvoll. Die Kriminalität ist allgegenwärtig und verstörend – ja, aber landesweit arbeiten unzählige Ehrenamtliche daran, das Problem zu lösen. Der Präsident macht vor allem mit seinem polygamen Liebesleben von sich reden – ja, aber er hat auch einen guten Draht zu den Armen und mit dem Diktator Robert Mugabe verhandelt. „Should I stay or should I go“ heißt ein aktueller Bestseller – ja, aber viele Südafrikaner widerstehen dennoch der Versuchung, auszuwandern.

Auch die Weltmeisterschaft bringt diese Ambivalenz eher zum Ausdruck als dass sie diese überwindet. Viele hundert Millionen Euro hat das Land trotz großer Armut ausgegeben, um zu wiederholen, was schon einmal geglückt war: 1995 gewann Südafrika den Rugby World Cup, und dieser Sieg gilt noch immer als der Augenblick, an dem die Weißen sich mit dem neuen System versöhnten.

Gleichzeitig sicherte der Rugby- Triumph – und die große Persönlichkeit Mandelas – Südafrika weltweit eine Aufmerksamkeit und Zuneigung, die das Land der Apartheid nie gekannt hatte. Doch kaum wurde das Interesse der Welt wieder geringer, kehrte das Land zu seinen alten Gewohnheiten zurück: An die fremdenfeindlichen Übergriffe, die vor zwei Jahren die Townships erschütterten, erinnern sich noch viele. Einen solchen Rückschritt, hofft man, darf es nach der WM nicht geben.

Die großen Hoffnungen, die an die Weltmeisterschaft geknüpft sind, werden sich jedoch kaum alle erfüllen. Wer glaubt, ein simples Fußballturnier tilge die strukturellen Folgen der Apartheid, wird nach dem Abpfiff mit schlimmen Kopfschmerzen aufwachen. Wer hingegen darauf vertraut, dass ein Fußballturnier den Zusammenhalt einer hochkomplexen Gesellschaft stärken kann, wird Bestätigung erleben. Das Land kann ein zweites Mandela-Moment jedenfalls gut gebrauchen, ein Moment, das das zerrissene Land zusammenbringt und diesmal vielleicht sogar langfristig Wirkung zeigt – und das die leicht hysterische Hassliebe, die viele Südafrikaner für ihr Land empfinden, in eine stolze, robuste Freundschaft wandelt.

Jetzt wirft die Welt wieder ein Auge auf Südafrika. Und während Deutschland 2006 erfolgreich um mehr nationale Leichtigkeit rang, braucht Südafrika nicht gerade Schwere, aber doch Gewicht und Verbindlichkeit. Südafrika muss der Welt zeigen, dass es verantwortungsbewusst mit den Wunden und Narben der Vergangenheit umgeht. Denn dass das Land feiern kann, muss es niemandem mehr beweisen.

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