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LEICHTS Sinn: Gefährlicher noch als Populismus ist propagandistische Scheinpolitik

Wohin man schaut: Pseudopolitik! Darunter versteht Robert Leicht eine Politik, die nicht die wahren und wichtigen Herausforderungen zum Thema macht. Solch eine Pseudopolitik ist viel gefährlicher als jeder Populismus.

Das Jahr fing nicht gut an – politisch. Ich will nicht gleich den gesamten Populismus in Bausch und Bogen verdammen. Irgendwie hat Politik ja auch etwas damit zu tun, die Sorgen der meisten, also auch der einfachen und wenig bevorteilten Leute, aufzunehmen; sonst verliert sie jede Bodenhaftung. Aber was derzeit im Vorfeld der ersten Landtagswahlen nach Eröffnung der zweiten großen Bundeskoalition geschieht, ist mit Populismus, auch mit dem berüchtigten „nackten Populismus“, begrifflich schon nicht mehr richtig erfasst. Es ist der reinste Schwachsinn.

Aber bevor ich selber zum Populisten werde, will ich bekennen, dass ich mich stets gegen die billige und gefährliche Politikverachtung und gegen die preiswerte Politikerbeschimpfung gewehrt habe. Demokratische Politik vollzieht sich nun einmal anders als das besinnliche Klosterleben. Da ist nun einmal viel Zirkus und Getue mit im Spiel – die Wähler, ja selbst die Journalisten wollen es in gewisser Weise so. Rein akademische, gesinnungsethische Politik wäre ihnen viel zu langweilig – und Machtkämpfe sind eben Kämpfe, mit all den gebotenen und verbotenen Kniffen. Trotzdem: Es gibt eine Grenze. Und die ist jetzt überschritten.

Roland Koch entdeckt, dass er plötzlich um seine Mehrheit bangen muss. Aber anstatt nun die Erfolge und Pläne seiner Politik in Hessen zum Thema zu machen, nimmt er einen Vorfall im CSU-regierten, also bestimmt nicht von sicherheitspolitischen Weicheiern bestimmten Bayern zum Anlass, die Jugendkriminalität (nein, bitte keine Verharmlosung der ernsten Vorfälle!) zum Mega-Thema aufzujazzen. Es hätte sich ja schon vor einem Jahr vernünftig darüber reden lassen, aber damals war Kochs Mehrheit noch nicht gefährdet. Angela Merkel spricht sich mit einem Mal aus für die Trias von Strafverschärfung, Abschreckungsarrest und Erziehungscamps; ich möchte wetten, dass sie sich noch keine halbe Stunde ernstlich und detailliert mit dem Problem gewaltsamer Delinquenz auseinandergesetzt hat, sonst würde sie jetzt nicht mit solchen Blockbuster-Vorschlägen daherkommen. Im Übrigen hätte auch sie schon zwei Jahre Zeit gehabt, auf diesem Feld verantwortlich zu reden und zu handeln.

Die SPD hingegen macht Kampagnen für den Mindestlohn, als wüssten die Experten nicht ganz genau, dass diese Art einer Politik zu Lasten Dritter in Wirklichkeit nicht die Arbeitgeber, sondern gerade auch die geringqualifizierten Arbeitssuchenden treffen könnte. Klingt aber gut! Soll man in diesem Zusammenhang überhaupt noch ein Wort über die FDP verlieren? In Hamburg will sie das Rauchverbot in Gaststätten bekämpfen. Ich hatte noch gar nicht gewusst, dass es zu meinen elementaren Freiheitsrechten gehört, dem Personal in der Gastronomie mit meinem Pfeifenrauch einen Lungenkrebs anzupusten. Aber diese Kampagne ist so blödsinnig wie die FPD-Parole „Mehr Herz statt Hartz“ im vorigen sächsischen Wahlkampf, hatte doch Westerwelle selber immer schärfere Hartz-Gesetze haben wollen. A propos Westerwelle – und Gerhardt: Weiß denn niemand mehr, dass Gerhardt schon vor vier Jahren einen Liberalismus-Kongress (plus einschlägiges Papier) in Berlin lanciert hatte, um den skellettierten Liberalismus mit Muskeln und Seele zu versehen? Nun, auf einmal, soll dieses Dauerthema eine Sensation sein?

Wohin man schaut: Pseudopolitik! Darunter verstehe ich eine Politik, die nicht die wahren und wichtigen Herausforderungen zum Thema macht (weil sie zu feige oder zu einfallslos ist), sondern sich auf Nebenthemen wirft – und für die auch noch überwiegend unbrauchbare Vorschläge macht, wenn sie nur propagandistisch knallig klingen. Solch eine Pseudopolitik ist viel gefährlicher als jeder Populismus.

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