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LEICHTS Sinn: Wie in Bremen, so auch in Berlin? Warum große Koalition nur Notlösungen sind

In Bremen wird von nun an über ein rot-grünes Regierungsbündnis verhandelt – die seit zwölf Jahren regierende große Koalition geht sang- und klanglos zu Ende. Schade drum?

In Bremen wird von nun an über ein rot-grünes Regierungsbündnis verhandelt – die seit zwölf Jahren regierende große Koalition geht sang- und klanglos zu Ende. Schade drum? Selbst wenn man die Leistungen dieser Zusammenarbeit von Sozial- und Christdemokraten respektierte, selbst wenn man der heraufziehenden Neubelebung von Rot-Grün skeptisch gegenüberstünde, müsste man doch sagen: Besser so!

Große Koalitionen können notwendig sein – und dann soll man sie auch rundheraus bejahen. Dennoch sollten sie die Ausnahme bleiben. Das deutsche Verfassungssystem ist nach dem Weimarer Trauma ohnedies sehr auf Stabilität getrimmt – wie der deutsche Michel überhaupt. Aber man sollte diese Furcht vor Aufbruch und Aufruhr nicht so weit treiben, dass man eine Grunderfahrung parlamentarischer Praxis und liberaler Politikweisheit vergisst: Man braucht nicht nur eine starke Regierung, sondern immer auch eine starke Opposition, wenn all die Funktionen eines Parlaments, wie sie Walter Bagehot, der eminente englische Parlamentstheoretiker des19. Jahrhunderts, aufgezählt hat, ineinandergreifen sollen: also nicht nur die Regierungs- und Gesetzgebungsfunktion, sondern auch die Kontrollaufgabe, die expressive Darstellung der Ansichten und Alternativen und – nicht zuletzt – die politische Erziehung des Publikums.

Wenn sich jedoch politische Elefanten verbünden, erdrücken sie ja nicht nur leicht das andere Kleinvieh in der Manege, sondern sie unterdrücken notwendigerweise auch die profilierte Zuspitzung in den eigenen Reihen zugunsten eines handlungsfähigen Mittelwerts. Fast zwangsläufig legt sich dann eine geistige Lähmung übers Land – eine Lähmung sowohl der Programmatik als auch der Polemik. Also müssten in Bremen (und in Berlin) eigentlich alle, auch die Christdemokraten, zufrieden sein, dass der Normalfall parlamentarischer Konfrontation zurückkehrt.

Will man aus alledem eine allgemeine Regel ableiten, so hieße deren Hauptsatz: Große Koalitionen sind nur dort angebracht, wo arithmetisch nichts anderes möglich ist. Der Hauptsatz wird allerdings durch zwei Nebensätze eingeschränkt. Gäbe es, zum Ersten, nur die Möglichkeit, dass sich eine Partei zur Rechten mit einer kleinen Partei zur Linken, also jenseits der andern Volkspartei zusammentut (oder umgekehrt), dann drohte ein wechselseitiger Verlust der Glaubwürdigkeit und die politische Lähmung aufgrund programmatischer Überdehnung; das ist bislang noch das Problem schwarz-grüner Ambitionen. Gäbe es, zum Zweiten, nur die Möglichkeit, dass eine der Volksparteien eine Partei jenseits des hergebrachten Verfassungsbogens in die Regierungsmehrheit einbezöge (so wie 1969 die Union zusammen mit der NPD einen Bundespräsidenten wählen wollte), drohen ebenfalls zumindest Glaubwürdigkeitsprobleme; das war das Problem der rot-roten Absprachen zwischen SPD und PDS gewesen. Ob sämtliche PDS-Kader wirklich schon ganz verfassungsfest sind, mag man füglich bezweifeln. Vorerst müsste aber eine SPD, die sich mit der populistischen „Linken“ auf Bundesebene zusammentut, jedes Ehrgefühl verloren haben – jedenfalls angesichts der kaltschnäuzigen Verachtung, mit der ihr Ex-Vorsitzender Lafontaine auf sie eindrischt, nicht zuletzt mit dem Vorwurf des Verfassungs- und Völkerrechtsbruches.

Hinter dieser provozierenden Polemik tut sich aber ein fatales Paradox auf: Wohl wahr, rein demoskopisch betrachtet, gibt es so etwas wie eine „linke Mehrheit“ im Lande. Das Dumme ist nur, dass niemand mehr zu sagen weiß, was links eigentlich ist – und welches konkrete Programm eine solche formal addierte Mehrheit zusammenhalten könnte. Ohne ein kohärentes Programm funktioniert aber keine Koalition, nicht einmal eine große.

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