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LEICHTS Sinn: Da versteht man nur noch Bahnhof Eine grün-rote Mehrheit stolpert über das Volk

W er auf dem Tiger reiten möchte, muss aufpassen, dass er nicht herunterfällt – sonst wird er gefressen. Diese Klugheitsregel gilt auch in der Politik, vor allem dann, wenn man glaubt, man solle mit dem Volkswillen seine Spielchen treiben.

W er auf dem Tiger reiten möchte, muss aufpassen, dass er nicht herunterfällt – sonst wird er gefressen. Diese Klugheitsregel gilt auch in der Politik, vor allem dann, wenn man glaubt, man solle mit dem Volkswillen seine Spielchen treiben. Da erinnert man sich doch der Zeit, als die SPD in Schleswig-Holstein eine Wahl mit dem doppelten Versprechen gewann, zum einen die Gesamtschule einzuführen und zum anderen das Volksbegehren; was die siegreiche SPD damals erntete, war ein erfolgreiches Volksbegehren gegen die Gesamtschule.

Diese Episode kommt einem wieder in Erinnerung, da in Baden-Württemberg der Versuch unternommen worden war, gegen den neuen Stuttgarter Bahnhof einerseits eine Volkserhebung zu mobilisieren und andererseits das Volk mit einer Volksabstimmung zu besänftigen, vor allem aber mit dieser Inszenierung die CDU/FDP-Koalition zu entsorgen. Inzwischen ist diese Regierung zwar gestürzt – aber nun straucheln die Wahlsieger, die sich noch in der Wahlnacht im Vollzug einer „Liebesheirat“ wähnten, über die eklatanten Widersprüche ihrer vermeintlich volksfreundlichen Dramaturgie.

Zum Ersten: Auch wenn wirklich jemals 50 000 Menschen gegen Stuttgart 21 demonstriert haben sollten und wenn alle diese Demonstranten aus Stuttgart gekommen wären, so würde dies immer noch bedeutet haben, dass eben 510 000 Stuttgarter Einwohner nicht gegen den Bahnhof protestiert haben. Zum Zweiten: Die Grünen wollten unter Berufung auf das Volk (welches Volk – das Stuttgarter, das schwäbische, das baden-württembergische?) den Bahnhof verhindern, die SPD aber wollte den Bahnhof, für den sie sich über viele Jahre konstant eingesetzt hatte, mit einem Volksbegehren absichern. Wozu das Volk, sofern richtig eingesetzt, nicht alles gut ist!

Zum Dritten: Jetzt müssen die Grünen und die SPD eine Regierung bilden, und die Grünen müssen zwangsläufig dem Volksbegehren zustimmen, obwohl nach allen Regeln dessen Ergebnis den neuen Bahnhof gerade nicht verhindern würde, zumal die SPD sicherheitshalber jene dem Bahnhofsprojekt zugrunde liegende weiträumige Trassenführung aus dem Landes- Volksbegehren auch noch ausklammern möchte (das sei ja Bundessache), welche zwingend zu einem neuen Bahnhof führen muss.

Nun ist guter Rat teuer. Das Beteiligungs-Quorum für Volksbegehren zu senken, das hätten die Grünen und die SPD schon in der vorigen Legislaturperiode haben können, doch damals war ihnen der Entwurf der damaligen Regierung (ein Quorum von 25 statt bisher – und immer noch – 30 Prozent aller Wählerstimmen) zu hoch. Heute dürfte die SPD sogar klammheimlich froh sein, dass die Marge immer noch bahnhofssicher hoch liegt. Die Grünen aber tun so, als wollten sie ernstlich von der CDU erwarten, dass die nun an einer schnellen Verfassungsänderung zur Senkung des Quorums mitwirkt, als ob die ihr eigenes Projekt torpedieren wollte, für das sie sich hatte verhöhnen lassen. Selten dürfte man eine solche Ansammlung unredlicher Spiegelfechtereien erlebt haben!

Was dabei aber völlig übersehen wird: Natürlich kann man, wenn man die entsprechende Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung aufbringt, auch die Regeln über das Volksbegehren reformieren. Was aber nach alter verfassungspolitischer Tradition regelrecht obszön wäre, das wäre der Versuch, opportunistisch im Vorgriff auf ein bestimmtes beabsichtigtes Volksbegehren die Regeln zu manipulieren. Nur die gesicherte Tatsache, dass es dazu faktisch nicht kommen wird, erspart einem den verschärften Aufruf zum zornigen Protest gegen einen solchen Verfassungsmissbrauch.

So bleibt es also bei der alten Einsicht: Wer auf einem Tiger reiten will, überlege sich das lieber vorher.

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