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Robert Leicht war Chefredakteur der "Zeit". Heute arbeitet er für die Wochenzeitung als politischer Korrespondent. Seine Kolumne im Tagesspiegel erscheint montags im Wechsel mit Alexander Gauland.

© C.v.S.

LEICHTS Sinn: Die Antipathie der Deutschlehrerin

Nun also das „kleine Zentralabitur“! Doch dazu gehört vor allem auch ein faires Korrektursystem

Für alle um unsere Bildungsstandards besorgten Zeitgenossen müsste das eigentlich eine gute Nachricht der vergangenen Woche sein: Jetzt stehen die Termine fest für ein kleines Zentralabitur (in drei Fächern) vom Jahr 2014 an – in immerhin sechs Bundesländern. Die beste Nachricht in der Nachricht scheint diese zu sein: Außer den Pisa-Spitzenreiten Bayern und Sachsen nimmt, neben Vertretern des Mittelfeldes (wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) auch ein Bundesland aus der Gruppe der Schlusslichter an dieser Übung teil, nämlich die Freie und Hansestadt Hamburg.

Das klingt so, als sollte es irgendwann doch über unser ganzes Land weg vergleichbare Abiturzeugnisse geben – und zwar auf insgesamt höherem Niveau. Man wagt ja gar nicht mehr an jene beklemmende Regelung aus dem alten Hochschulrahmengesetz zu erinnern: Im Bereich der zentral vergebenen Numerus-Clausus-Studienfächer bekommt – und zwar, wie dort ausdrücklich stand: solange die Abiturnoten nicht gleichwertig sind – jedes Bundesland so viele Studienplätze zugewiesen, wie es der Zahl seiner Abiturienten entspricht. Dies musste zwangsläufig ein fataler Fehlanreiz sein – es wirkte jedenfalls so in gewissen Ländern: Man musste ja nur die Anforderungen an das Abitur sinken lassen, schon bekam man mehr Abiturienten und folglich auch mehr Studienplätze für seine Landeskinder zugewiesen. Schöner Erfolg! Dass dieser Schlendrian nicht mehr offen in einem Gesetz steht, hat aber nur damit zu tun, dass aus ganz anderen Motiven das Hochschulrahmengesetz insgesamt aufgehoben wurde. Gebessert hat sich dadurch nichts.

Nun also das „kleine Zentralabitur“! Bevor die Freude darüber unangemessene Höhen erreicht, muss man aber leider das Kleingedruckte lesen. Denn die Klausuren schreiben, ist das eine; die Frage, wie und durch wen sie bewertet werden, das andere. In Hamburg soll dies nämlich nur an der jeweiligen Schule geschehen. Erst- und Zweitkorrektur werden also naturgemäß nicht allzu streng gegen die Schüler der eigenen Schule vorgehen; vor allem wird es weder schulübergreifend noch gar länderübergreifend kontrollierte und eben tatsächlich verglichene Standards geben.

Wie so etwas richtig gemacht wird, hatte ich selber erfahren, als ich – lang ist’s her, aber immer noch so – in Baden-Württemberg mein Abitur schrieb. Unsere Arbeiten wurden zunächst durch unseren Fachlehrer korrigiert und auf einem getrennten Blatt benotet. Dann wurden diese Arbeiten anonymisiert an eine andere Schule gegeben, die unsere Lehrer nicht kannten und die ihrerseits nicht wussten, von welcher Schule diese Arbeiten kamen. Dort machte sich der Zweitkorrektor an die Arbeit, ohne die Erstnote zu kennen. Wichen Erst- und Zweitkorrektur etwa um eine Note voneinander ab, wurde der Durchschnitt beider zur Endnote; war die Abweichung größer, setzte das Oberschulamt einen Drittkorrektor ein.

Die Vorteile dieses zugegebenermaßen etwas mühsamen Vorgehens lagen auf der Hand. Zum einen wussten wir Schüler, dass wir eine faire Note zu erwarten hatten – und zwar unabhängig von den möglichen Antipathien unseres Lehrers. Meine Deutschlehrerin benotete meinen Aufsatz zum Beispiel um zwei Noten schlechter als der Zweitkorrektor und so kam ich durch die Drittkorrektur zu einer hübschen „Zwei“, was damals noch richtig viel wert war. (Heute werden ja Zensuren unter 2,7 kaum noch vergeben …) Zum anderen aber sicherte dieses Verfahren maximal vergleichbare und zudem optimal hohe Standards. Weshalb eben das Abitur in Baden-Württemberg auch heute noch viel mehr zählt als jenes aus Hamburg. Von Berlin oder Nordrhein-Westfalen gar nicht erst zu reden.

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