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Meinung: Lesen wirkt

Die deutschen Grundschüler haben sich verbessert – weil sie mehr Zeit für Bücher haben

Ein merkwürdiges Phänomen ist allmorgendlich in deutschen Grundschulen zu beobachten: Einige zehntausend Richter, Rentner, Hausfrauen und Studenten gehen mit Bücherstapeln unterm Arm in Klassenzimmern aus und ein, sitzen mit kleinen Schülergruppen auf Fluren oder in Nebenräumen und haben nur eines im Sinn: lesen, lesen, lesen.

Was sie treibt, lässt sich mit einem Wort beschreiben: der Pisa- Schock. Er war es, der vor sieben Jahren das deutsche Bildungswesen infrage stellte und der bis heute nachwirkt – in Gestalt von Reformen, aber eben auch in Gestalt einer veränderten gesellschaftlichen Einstellung, die an keiner Stelle so spürbar wird wie bei der „Lesepatenbewegung“. Der Pisa-Schock war so groß, dass selbst das vergleichsweise bessere Abschneiden der deutschen Viertklässler bei der Grundschulstudie „Iglu“ vor sechs Jahren weder den Reformdruck noch die Reformbereitschaft abschwächte.

Seit gestern nun liegt die neue Iglu-Studie vor. Sie zeigt, dass sich die deutschen Schüler noch weiter nach vorn gearbeitet haben: Obwohl kaum ein anderes Land so wenig Schüler von der Teilnahme ausgeschlossen hat, ist Deutschland im oberen Viertel der 40 Teilnehmerstaaten gelandet. Lehrer, Eltern und Bildungspolitiker müssten verrückt sein, wenn sie sich darüber nicht freuten.

Natürlich lässt sich immer allerlei gegen jede Art von Studie vorbringen. Dass die Aufgaben ungeeignet oder die Stichprobe zu klein oder dass es überhaupt überflüssig sei, sich mit Staaten wie Hongkong oder Trinidad zu vergleichen. Und doch muss an diesen Studien eine Menge dran sein, denn sie haben bisher immer den Finger in Wunden des deutschen Schulwesens gelegt.

Zu diesen Wunden zählte, dass Deutschland seine Grundschüler jahrzehntelang schon ab 11 Uhr 30 nach Hause geschickt hatte: Die Schüler hatten nicht nur weniger Unterricht als international üblich, sondern auch zu wenig Gelegenheit, Deutsch zu sprechen. Die Antwort darauf war, dass Bund und Länder den Ausbau von Ganztagsschulen gefördert haben.

Im Nachhinein ist schwer zu sagen, was für das noch bessere Abschneiden bei Iglu verantwortlich war: die zusätzlichen Ganztagsschulen oder die Lesepaten oder die neuen Unterrichtsformen. Wahrscheinlich ist es die Summe all dieser Anstrengungen.

Es gibt aber auch Probleme, die weiter ungelöst sind. So etwa der im internationalen Vergleich überdurchschnittlich große Einfluss der sozialen Herkunft bei der Frage, ob ein Kind eine Empfehlung für das Gymnasium bekommt. Auch die Migrantenförderung bleibt eine Baustelle. Hier braucht der Staat einen langem Atem – vom Kindergarten bis zur Grundschule. Die weiterführenden Schulen können dieVersäumnisse nicht aufholen.

Um diese Schulen wird es kommende Woche gehen, wenn die nächste Pisa-Studie veröffentlicht wird. Schon jetzt ist absehbar, dass die Gruppe der schwachen Schüler im Vergleich zur Grundschule höher sein wird, denn Schüler, die man auf Haupt- oder schlechte Gesamtschulen verbannt, verlieren den Glauben an ihre Leistungsfähigkeit. Und da helfen dann auch Lesepaten kaum noch weiter.

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