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Haben wir zu wenig Respekt vor der Polizei?

© dpa

Leserbrief eines Berliner Beamten: Polizisten zwischen den Fronten

Sie werden angeschrieen, bespuckt oder gar mit Steinen oder Flaschen beworfen: Polizisten haben es nicht leicht in Berlin. In einem Leserbrief schreibt ein Beamte nun, wie er sich zwischen den Fronten fühlt und beklagt den mangelnden Respekt.

„Messerattacke auf Flüchtling: Offene Fragen am Oranienplatz“ vom 21. Juni

Ich möchte hier nicht mehr über die sicherlich allseits bekannten Probleme innerhalb der Berliner Polizei schreiben, sondern Ihnen und Ihren Lesern einmal mitteilen, wie „Wir“ uns fühlen, jedes Wochenende unseren Frauen, Männern, Kindern, Angehörigen und Freunden erklären zu müssen, dass wieder einmal nichts aus der Familienfeier, dem Kinobesuch oder einfach dem gemeinsamen Frühstück mit der Familie wird, weil es in einer Stadt wie Berlin kein einziges Wochenende mehr gibt, an dem nicht für oder gegen irgendetwas demonstriert, Fußball gespielt oder sich einfach bei Volksfesten geprügelt und bis zur Maßlosigkeit Alkohol konsumiert wird, der Tiergarten zum Fetischclub umfunktioniert, Rocker kontrolliert werden müssen, rechte Gruppen überprüft oder bei „Demo-Übungen“ überwacht werden müssen und Staatsbesuche stattfinden.

Keine einzige meiner Kolleginnen oder Kollegen möchte sich darüber noch beschweren, zu tief sitzt der Frust über eine Gesellschaft, die längst den Einblick verloren hat, wie viele Stunden wir bei derartigen Veranstaltungen ausharren, angeschrieen, bespuckt, geohrfeigt, getreten oder schlimmstenfalls mit Steinen, Flaschen, Polenböllern und Brandsätzen traktiert werden. Dies alles berührt uns nur noch äußerlich, und mit ein wenig Glück verheilen die Wunden in zeitlich erträglicher Dauer.

Was aber richtig wehtut, ist, wenn Polizisten einen mit einem Kleinkind besetzten Kinderwagen vor einer wütenden Menschenmenge schützen müssen, ist die Tatsache, dass von einer bestimmten Klientel sofort reflexartig der Vorwurf rassistischer Äußerungen erschallt, der Polizei vorgeworfen wird, die Situation noch zu verschlimmern und mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen Beteiligte vorgegangen zu sein und keine Stimme in der Öffentlichkeit laut wird, die den Verursachern solcher Gewaltvorfälle einmal den Spiegel vorhält und ausspricht, was vermutlich die meisten Mitbürger denken, aber sich nicht mehr zu sagen trauen, nämlich, dass in dieser Gesellschaft nur eine Instanz geschaffen wurde, um auf anhaltende Gewalt, notfalls mit Gewalt zu antworten – und dies völlig zu Recht die Staatsgewalt ist.

Ich kann diese Vorwürfe mitunter nicht mehr ertragen. Es ist irgendwie wie mit pubertierenden Kindern – schuld sind immer die anderen! Kein Mensch in dieser Stadt ist in der Lage, eine solche Situation allein in der „blauen Uniform mit Namensschild oder individuellem Rückenklett“ zu beruhigen – so sehr wir uns dies auch wünschen!

Von der Polizeiführung ebenfalls reflexartig die ewig gleiche Antwort, dass die Vorwürfe geprüft werden. Hier scheint es an der Zeit, sich nach außen nicht mehr zu rechtfertigen, sondern klar die Grenzen aufzuzeigen und hinter den Frauen und Männern zu stehen, die irgendwann einmal genau aus diesem Grund den Beruf des Polizisten gewählt haben, um zu helfen und diejenigen der Justiz zuzuführen, die sich gegen diese Gesellschaft und ihre Normen versündigen, zur Not auch mit Gewalt. Ich kenne keine Polizei der Länder und des Bundes in Deutschland, die durch politische und polizeiliche Führung derart hart „an die Leine genommen wird“ wie die Berliner Polizei.

Die Hemmschwelle, gegen Angriffe psychischer wie physischer Natur mit den Mitteln des sogenannten „Zwanges“ vorzugehen, ist teilweise so hoch, dass das Bild einer Polizei entsteht, die sich vor dem Polizeipräsidium ohne Grund „ohrfeigen“ lassen muss, damit die Situation nur nicht eskaliert. So geschehen bei der Solidaritätsdemo für einen inhaftierten Flüchtling aus dem Camp am Oranienplatz am Dienstag dieser Woche. Wie sich ein Mensch fühlt, der ohne Schuld und Möglichkeit jeglicher Sühne diese Erniedrigung erleiden muss, bitte ich Sie nachzuvollziehen. Ich glaube, ich hätte nicht stillgehalten. Diesem Kollegen der Einsatzhundertschaft der Direktion 5 gilt mein Respekt. Es tut mir sehr leid.

Thorsten Schlusnath, Einsatzhundertschaftstruppführer der 22. Einsatzhundertschaft, Berlin

Thorsten Schlusnath

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