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Meinung: Die Bedrohung durch Iran ist sehr real

„Im Spiel bleiben“ vom 12. April 2006 Der Kommentar verkennt einige wesentliche Fakten in der gegenwärtigen Lage.

„Im Spiel bleiben“ vom 12. April 2006

Der Kommentar verkennt einige wesentliche Fakten in der gegenwärtigen Lage. Sicherlich genießt das iranische Staatsoberhaupt diplomatische Immunität, aber der Kampf gegen die Leugnung des Holocaust und gegen Volksverhetzung betrifft universelle Grundwerte, die auf europäischer Ebene immer wieder und besonders auch von den UN im Angesicht des weltweit anerkannten Holocaust-Gedenktags beschworen werden. Wenn diese Beschwörungen keine Lippenbekenntnisse sein oder bleiben sollen, dann müssen den Worten auch endlich Taten folgen. Die Geschichte hat dies angesichts der Nazi-Diktatur schon einmal gezeigt. Hätte man 1934 bereits seinen Worten eindeutige Taten folgen lassen, wäre es vermutlich nie zum Holocaust gekommen.

Der Autor spricht angesichts des Ahmadinedschad-Besuchs in Deutschland von der Chance des direkten und intensiven Dialogs. Die Bundesrepublik Deutschland unterhält seit vielen Jahrzehnten intensive Beziehungen zum Mullah-Regime. Diese haben weder Ahmadinedschad verhindert noch seine eindeutigen Äußerungen zur Leugnung des Holocaust und zur Vernichtung des Staates Israel. Dies ist im Übrigen eine Fortsetzung der jahrzehntelangen Politik des Regimes im Iran seit Ajatollah Chomeini. Das Mullah-Regime unterstützt seit Jahren die radikalislamische Terrororganisation Hamas, und dies wissen alle Beteiligten. Geschehen ist nichts, außer dass die Wirtschaftsbeziehungen weiter ausgebaut wurden. Der so genannte Dialog der Europäer mit dem Regime hat sogar dazu geführt, dass Iran, eines der an Erdgas und Erdöl reichsten Länder, die Atomenergie zur Energieversorgung heute nutzen kann und die Inbetriebnahme von bis zu 54 000 zusätzlicher Zentrifugen anstrebt, um die Option der Atombombe nutzen zu können. Wer hier den Dialog weiterverfolgen will, ohne deutlich sichtbare Zeichen der Missbilligung zu setzen, der ist nicht nur naiv, sondern begeht langfristig politischen Selbstmord.

Die sicherheitspolitische Bedrohung durch Iran ist sehr real. Der Westen hat insofern sehr viel zu verlieren, nämlich seine politische Glaubwürdigkeit und vor allem Handlungsfähigkeit. Wenn der Westen, und damit ist eigentlich Europa gemeint, neben seinen politischen Drohungen nicht endlich auch erkennbar den Willen erkennen lässt, auch tatsächliche Konsequenzen, wirtschaftlich und wenn nötig auch militärisch, zu ziehen, dann disqualifiziert er sich nicht nur auf der politischen Weltbühne, sondern riskiert, seine eigene Freiheit und Unabhängigkeit zu verlieren.

Ein Besuch des iranischen Präsidenten in Deutschland festigt entgegen der Meinung des Autors sehr wohl die Position Ahmadinedschads im eigenen Land. Gerade wenn der iranische Präsident trotz seiner Äußerungen in Deutschland willkommen geheißen wird, ist dies ein positives Signal an die eigene Bevölkerung zu Hause. Einmal für die Spaltung der westlichen Allianz im Kampf gegen den Terror und den Islamismus und zum Zweiten für das seit langem gehegte Gefühl, dass der Westen eigentlich nicht bereit ist, für seine eigenen Grundwerte auch einzustehen und diese zu verteidigen, wenn es einmal unangenehm wird.

Diese psychologische Bankrotterklärung, nämlich „Deutsche ohne Rückgrat“, ist die schlimmste Message. Es geht in diesem Fall eben nicht um dumme Prinzipienreiterei, wie der Autor es nennt,sondern um das Eintreten für die Grundwerte unserer Gesellschaft und Zivilisation und nicht zuletzt für die Lehren aus der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte zwischen 1933 und ’45. Wer das nicht begriffen hat, der hat aus der Geschichte in der Tat nichts gelernt.

Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Berlin

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