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Meinung: DIE SÜCHTIGEN UND DIE GESUNDHEITSPOLITIK Warum ist der Senat untätig?

Unsere Leserin Dagmar Heidt-Müller versteht nicht, warum der Berliner Senat nicht mehr für die Suchtprävention tut. Gesundheitssenatorin Knake-Werner antwortet.

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Betrifft: „Berliner rauchen und trinken sich zu Tode“ vom 24. Juni 2003

Aus der schriftlichen Presseerklärung der Senatorin KnakeWerner geht hervor, dass im Jahr 2000 über 2000 Menschen an den Folgen übermäßigen Alkoholkonsums gestorben sind. Im Jahr davor wurden „nur“ 800 Alkoholtote gezählt. Die Steigerung auf über 150 Prozent kann man vornehm mit „den Lebensumständen“ umschreiben (Senatssprecherin Steinbrenner). Experten wissen allerdings, dass die stationäre Aufenthaltsdauer alkoholkranker Menschen in Berlin auf die bundesweit kürzesten Zeiten heruntergefahren bzw. erzwungen wurde. Viele Kollegen sprechen deswegen inzwischen von einer „blutigen Entlassung“. Außerdem haben die Berliner Alkoholikerberatungs- und Behandlungsstellen durch jahrelange Untätigkeit des Senats in der Suchthilfeplanung eine extrem niedrige Personalausstattung. Eine Presseerklärung, die wesentliche Ursachen für die extrem hohe Todesrate verschweigt, ist das Papier nicht wert auf dem sie geschrieben ist. Es wäre wünschenswert, wenn die Berliner Tageszeitungen stattdessen selber mehr „Spurensuche“ auf diesem Gebiet betreiben würden! Wir haben circa 250 000 Alkoholabhängige in der Stadt – und zwar in allen Schichten der Bevölkerung!

Dagmar Heidt-Müller,

Berlin-Reinickendorf

Sehr geehrte Frau Heidt-Müller,

zweifelsfrei hat das Suchtproblem in unserer Gesellschaft einen zentralen, wenn auch immer noch häufig unterschätzten Stellenwert. Großstädte sind besonders betroffen - dies hat tatsächlich auch mit besonderen Lebensumständen in Ballungsräumen zu tun. Zur Klarstellung: Die Zahl von 2000 Alkoholtoten jährlich basiert auf einem Schätzverfahren, das mit dem aus den Vorjahren nicht vergleichbar ist. So sind jetzt auch erstmals beispielsweise Unfallopfer berücksichtigt. Damit sind wir viel näher an der Realität. Eine Steigerungsrate lässt sich daraus nicht ableiten. Zumeist jedoch haben die Todesopfer lange Suchtkarrieren hinter sich.

Der von Ihnen dargestellte Zusammenhang zwischen der Entzugsdauer im Krankenhaus, der Personalausstattung von Alkoholberatungsstellen und der Zahl der Alkoholtoten entbehrt jeder Grundlage. Richtig ist, dass in Berlin schätzungsweise 250 000 Menschen mit behandlungsbedürftigem Alkoholproblem leben. Deshalb gibt es in Berlin auch ein dichtes Netz an vielfältigen Hilfen für diese Menschen. Neben dem System der medizinischen Pflichtversorgung und den Selbsthilfeorganisationen gibt es 20 Suchtberatungsstellen sowie ambulante und stationäre Entwöhnungstherapieplätze. Darüber hinaus steht in unserer Stadt für Alkoholkranke ein gut ausgebautes System mit Hilfen zur Alltagsbewältigung sowie mit betreuten Wohnformen zur Verfügung.

Wer die Todesrate von morgen reduzieren will, muss heute einen präventiven Schwerpunkt bei den besonders Gefährdeten setzen. Und das tun wir verstärkt. Nach dem Motto „Alkohol - jetzt lieber nicht“ wirken wir beispielsweise auf die Reduzierung des Gesamtkonsums hin. Ich habe verschiedene Maßnahmen in diesem Bereich initiiert und umgesetzt. Ein Beispiel ist unsere Kampagne für Jugendliche zu den Themen „Alkohol und Gewalt“, „Alkohol und Sexualität“ sowie „Alkohol und Straßenverkehr“. Sie ist so erfolgreich, dass mehrere Bundesländer sie übernommen haben. Berlin ist also in der Suchtprävention und Suchtbekämpfung keineswegs untätig. Im Gegenteil. Ich nenne die Arbeit hier initiativ, verantwortungsbewusst, in verschiedenen Feldern sogar vorbildlich.

Heidi Knake-Werner ist Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz.

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