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Meinung: Die Zeiten ändern sich

„Berlin, Hauptstadt der großen Klappe / Warum Deutschland von Bonn aus besser regiert wurde“ von Wolfgang Herlesvom 7. MaiNatürlich fand ich die gemütlichen Bonner Zeiten auch ganz angenehm.

„Berlin, Hauptstadt der großen Klappe / Warum Deutschland von Bonn aus besser regiert wurde“ von Wolfgang Herles

vom 7. Mai

Natürlich fand ich die gemütlichen Bonner Zeiten auch ganz angenehm. Im eingemauerten Berlin konnte man mit Behagen und eingeschränkter Mitwirkungsmöglichkeit all die großen Politiker, angefangen bei Adenauer bis Kohl bei ihrem Wirken für dieses unser Land beobachten. Oder den weisen Kommentaren der Journalisten am Rheinufer lauschen. Die Welt war überschaubar und in Ordnung.

Ja, die Wende und andere historische Entwicklungen haben auch Herrn Herles ganz hart erreicht, verstanden bzw. verwunden hat er das bis heute nicht. Das zeigen seine unseriösen, unhistorischen und undemokratischen Anmerkungen zur Berliner Republik überdeutlich.

Reinhard Hamel,

Berlin-Niederschönhausen

Man fragt sich wirklich, aus welcher verstaubten Mottenkiste Herr Herles seinen Artikel hervorgeholt hat. Kalter Kaffee wird nicht dadurch besser, dass man ihn immer wieder aufwärmt. Das frei gewählte gesamtdeutsche Parlament hat sich vor zwanzig Jahren nach einer intensiven Debatte für Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz des wiedervereinigten Deutschland entschieden – und dies sollte Herr Herles endlich akzeptieren. Im Übrigen wird auch das vereinte Deutschland nach wie vor aus der Bundesstadt Bonn regiert, da dort (leider immer noch) ein Großteil der Ministerien angesiedelt ist.

Die Geschichte, so möchte man Herrn Herles zurufen, ist nicht stehen geblieben. Wir leben im Jahre 2009 und nicht mehr im Jahre 1989! Berliner Mauer und Eiserner Vorhang sind vor zwanzig Jahren gefallen, die große Mehrheit der mittel- und osteuropäischen Länder ist zu Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit zurückgekehrt. Doch Volker Herles trauert offenbar weiterhin den alten Zeiten der Bonner Gemütlichkeit im Schatten der deutschen Teilung und unter alliiertem Schutz nach und erweist sich damit als der eigentliche Romantiker und Träumer, als Ewiggestriger.

Herr Herles sollte endlich mit dem Ammenmärchen aufhören, dass ein bestimmter Ort den Politikstil eines Landes bestimmen würde. Politik wird von Menschen gemacht, und diese werden in erster Linie durch ihre eigene Sozialisation, aber auch von den gesellschaftlichen Umständen geprägt – und nicht von monumentalen Reichstagstreppen oder idyllischen Rheinauen. Und wenn wir vor dreißig oder vierzig Jahren (zu Bonner Zeiten) charismatischere, weitsichtigere und bescheidenere Politiker hatten, so lag das wohl vor allem daran, dass die Erfahrungen von Diktatur, Krieg und völliger Zerstörung prägend auf diese Politikergeneration und ihren Einsatz für Demokratie und Gemeinwohl gewirkt haben.

Die Politiker von heute sind dagegen in erster Linie ein Ergebnis unserer Wohlstands-, Spaß- und Mediengesellschaft, in der die Karriere und die eigene Selbstdarstellung oftmals wichtiger sind als der Blick fürs Ganze, in der der Sieg bei der nächsten Wahl wichtiger ist als visionäre Weitsicht, in der sich Angepasstheit weit besser bezahlt macht als ein kluger und unbequemer Kopf. Insofern hätte sich Herr Herles einmal selbstkritisch mit der Rolle der Medien in unserer Demokratie auseinandersetzen sollen. Denn diese prägen unsere Politiker viel entscheidender als irgendeine Stadt. Wer – selbst als Hinterbänkler – in den Medien, insbesondere in den unzähligen und meist auch unsäglichen täglichen TV-Talkshows, zu allen Fragen der Zeit seinen eigenen Senf dazugeben kann, der wird sich letztlich auch wahnsinnig wichtig vorkommen.

Was die schleppende Aufarbeitung der DDR-Diktatur angeht, so sei Herr Herles abschließend daran erinnert, dass auch die von ihm so hochgelobte Bonner Republik erhebliche Schwierigkeiten im Umgang mit dem Erbe der Nazi-Diktatur hatte. Nazi-Größen wurden beispielsweise jahrelang in den Verwaltungen beschäftigt, Baden-Württembergs Ministerpräsident Filbinger musste 1978 wegen seiner NS-Vergangenheit zurücktreten und das an den Zwangsarbeitern begangene Unrecht wurde erst in jüngster Zeit anerkannt und entsprechend entschädigt. Bundespräsident von Weizsäcker sah sich noch 1985 – 40 (!) Jahre nach Kriegsende – in seiner eindrucksvollen und historischen Rede dazu genötigt, ein für alle Mal klarzustellen, dass der 8. Mai 1945 eben kein Tag der bedingungslosen Kapitulation, sondern ein Tag der Befreiung von einer barbarischen Diktatur war. Es war also nicht alles eitel Sonnenschein am Rhein.

Oliver Passarge, Berlin-Schöneberg

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