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Meinung: Ethik- oder Religionsunterricht – muss man zwischen beiden wählen?

„Christen vs. Pro Reli / Die Eigentorschützen“ von Malte Lehming und „Glaubensstreit um Pro Reli“ vom 3.

„Christen vs. Pro Reli / Die Eigentorschützen“ von Malte Lehming und „Glaubensstreit um Pro Reli“ vom 3. Dezember

Die Initiatoren von Pro Reli, die eine sogenannte freie Wahl zwischen Ethik und Religionsunterricht propagieren, verkennen, dass eine freie Wahl kein Wert an sich ist: Es besteht ein unbestrittener Konsens darüber, dass wir Schülern nicht die freie Wahl zwischen Mathematik und Kunst oder zwischen Deutsch und Sport gestatten. Auch bei dem Fach Ethik handelt es sich um ein Grundlagenfach, das in der Gesellschaft eines Einwanderungslandes, in dem die unterschiedlichsten Religionen vertreten sind, unverzichtbar ist. Im Fach Ethik geht es nicht um die starre Vermittlung von Normen, sondern um kritische Wertereflexion, die nur auf einer konfessionsunabhängigen philosophisch orientierten Meta-Ebene stattfinden kann. Es werden alterspezifisch Antworten entwickelt, die für alle Schüler von grundlegender Bedeutung sind, für Schüler, die einer Konfession angehören, aber auch für konfessionsungebundene.

Die Polemik, mit der Pro-Reli-Vertreter Ethik als „Zwangsfach“ bezeichnen und „Bevormundung“ oder gar „Religionsfeindlichkeit“ unterstellen, reflektiert nur deren argumentative Hilflosigkeit. Pro Reli ist eine wenig weitsichtige Initiative, die ausschließlich den Partikular interessen von Glaubensvertretern verpflichtet ist und keine überzeugende gesamtgesellschaftliche Verantwortung erkennen lässt. Ethik ist für Berlin eine unschätzbare Chance zu zeigen, wie in einer multikulturellen Gesellschaft langfristig ein übergreifender Wertekonsens hergestellt werden kann.

Götz Dittrich, Berlin-Steglitz

Sehr geehrter Herr Dittrich,

es ist unbestritten, dass Schülern heute grundsätzlich ethische Werte vermittelt werden müssen. Diese Erkenntnis ist uns gemeinsam.

Als Mitglied einer Religionsgemeinschaft gehe ich jedoch davon aus, dass monotheistische Religionen auch deshalb entstanden sind, um das Zusammenleben von Menschen gerechter und erträglicher zu gestalten. Meines Erachtens ist also Religion die ethische Grundlage einer Gesellschaft, auch dann, wenn es eine Trennung von Staat und Kirche gibt. Diese Grundlage ist erkennbar in den Verfassungen von Staaten, in ihren jeweiligen Rechtssystemen und letztendlich auch im kulturellen Miteinander ihrer Staatsbürger.

Es ist daher grundsätzlich nötig, dass ein Angehöriger einer Religionsgemeinschaft erst einmal Kenntnis seiner eigenen Religion erwirbt. Darauf aufbauend kann er zu einer kritischen Wertereflexion kommen. Im Judentum kommt hinzu, dass der eigene Religionsunterricht oft der einzige Ort ist, an dem noch religiöse Unterweisung stattfindet. Viele Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft kommen aus Gesellschaften, in denen sie ihre Religion nicht leben durften und daher auch an ihre Kinder nicht weitergeben konnten.

Für Menschen ohne Bekenntnis oder Religion ist Ethik ein sehr lobenswerter und nötiger Ersatz. Aus diesem Ansatz der freien Wählbarkeit zwischen den Fächern Ethik und Religion erwächst sicherlich für die einzelnen Religionsgemeinschaften auch die Verantwortung, andere Religionen oder Weltanschauungen als gleichberechtigt anzuerkennen und ihre Ansichten zu tolerieren sowie dem herrschenden Wertesystem in der Gesellschaft zuzustimmen.

Problematisch ist allerdings die Frage, wie man eine Wertereflexion einschätzen kann, wenn sie, wie in der Schule, bewertet wird? Schüler(innen), die früher Religionsunterricht als Raum für persönliche Entfaltung geschätzt haben, sehen sich nun dem gleichen Leistungsdruck unterworfen wie in anderen Schulfächern. Im schlimmsten Fall kann man mit einer schlechten Note in Ethik sogar sitzenbleiben.

Hinzu kommt die inhaltliche Frage, wie umfassend Ethiklehrer(innen), die selbst nur einer Religion angehören, wenn überhaupt, die inneren Werte aller Religionen, die den Schülern vermittelt werden sollen, vertreten können? Viele Unterrichtsmaterialien zum Judentum sind beispielsweise christlich geprägt und enthalten zweifelhafte bis falsche Darstellungen. Inwieweit dies auf die anderen, im Ethikunterricht behandelten, Religionen zutrifft, wäre zu prüfen.

Bei der Befürwortung von freier Wahl zwischen Ethik und Religionsunterricht geht es also keineswegs um Partikularinteressen. Da jede Religion von ihrer ethischen Grundlage getragen wird, ist ein religiös gefestigtes Weltbild für die Gesellschaft mindestens ebenso dienlich wie ein Weltbild, das aufgrund einer Auswahl an ethischen Prinzipien aus verschiedenen Religionen entstehen soll.

Mit freundlichen Grüßen

— Lala Süsskind, Vorstandsvorsitzende

der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

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