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Meinung: Gerhard Richters Werk wurde auf unheimliche Weise entschlüsselt

„Das Geheimnis des Malers“ vom 22. August 2004 Nachdem auch am vergangenen Wochenende der vorzügliche Artikel von Jürgen Schreiber über Gerhard Richter Gegenstand vieler Gespräche war, an denen ich teilgenommen habe, möchte ich nun doch einen Leserbrief schreiben.

„Das Geheimnis des Malers“ vom 22. August 2004

Nachdem auch am vergangenen Wochenende der vorzügliche Artikel von Jürgen Schreiber über Gerhard Richter Gegenstand vieler Gespräche war, an denen ich teilgenommen habe, möchte ich nun doch einen Leserbrief schreiben. Das entspricht eigentlich nicht meinem Charakter. Als Heftkritiker z. B. des „Spiegel“ habe ich mich immer über die Leserbriefseite lustig gemacht, weil nach meinem Vorurteil nur eine ganz besondere Personengruppe Zeitungen, Rundfunkredaktionen und auch Behörden mit Schreiben bedenkt.

Mit dem Artikel von Jürgen Schreiber haben Sie mich und viele meiner Freunde berührt. Fast exemplarisch berichtet er über die Verstrickungen mit dem Dritten Reich, die wir in vielen – auch meiner eigenen – deutschen Familien finden. Diese Verstrickung lässt auch uns „mit der Gnade der späten Geburt Ausgestatteten“ nicht los, es sei denn, wir befassen uns nicht mit der eigenen Familiengeschichte, schweigen sie gewissermaßen zu. Nur wird kaum jemand von uns einen so einfühlsamen Chronisten finden, wie ihn Gerhard Richter gehabt hat. Fast auf unheimliche Weise eröffnet Ihr Autor dem Leser den Blick auf Verborgenes, das vielleicht auch Herr Richter eher unbewusst in seinen Bildern sichtbar gemacht hat. Ein gutes Kunstwerk enthält vergangene, gegenwärtige, aber auch künftige Zeit. Jürgen Schreiber hat dies behutsam verdeutlicht und für mich in den Bildern von Gerhard Richter das vergangene Unheimliche, aber auch künftig mögliche Bedrohungen sichtbar gemacht.

Auch ich habe auf unzähligen Tagungen den ermüdenden Satz vom dualen System zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem privaten Rundfunk verkündet. Er ist inzwischen alt und falsch. Aber Ihr Artikel zeigt, dass er eine neue Bedeutung bekommen hat. Zwischen den schnellen, auf Überrumpelung angelegten Bildern des Fernsehens und Tageszeitungen, die sich durch Artikel, wie den von Herrn Schreiber auszeichnen, besteht eine „Dualität“. Sie laden den Leser ein, sich Zeit zu nehmen, um Zeit zu entschlüsseln und, wie bei Herrn Schreiber, Bilder zu verstehen. Das kann das Fernsehen nicht. Kurz: Bitte mehr davon! Ich gratuliere Ihnen, dass Sie (gelegentlich) eine so gute Zeitung machen.

Wolfgang Nowak, Staatssekretär a.D., Berlin-Mitte

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