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Meinung: Haben Jugendliche zu leichten Zugang zu Alkohol?

Jeder vierte Schüler regelmäßig betrunken / Zahl der Klinikeinweisungen hat sich seit 2000 verdoppelt“ von Rainer Woratschka vom 6. Mai Diese Zahlen können nur jemanden erstaunen, der nicht im öffentlichen Raum unterwegs ist.

Jeder vierte Schüler regelmäßig betrunken / Zahl der Klinikeinweisungen hat sich seit 2000

verdoppelt“ von Rainer Woratschka vom 6. Mai

Diese Zahlen können nur jemanden erstaunen, der nicht im öffentlichen Raum unterwegs ist. Ansonsten würde ihm auffallen, dass Jugendliche sowie junge Erwachsene aller Schichten und Prekariatserwachsene jeden Alters die Bierflasche (und die Zigarette) zu jeder Tageszeit an jedem Ort, allein oder in der Gruppe, zu ihrem ständigen Begleiter erkoren haben. Am Wochenende wird das Bier gerne schon mal kastenweise in die S-Bahn gehievt und gleich dort konsumiert. Allgegenwärtig ist das Klacken der Kronenkorken, und weil das Pfand von 8 Cent nicht mehr als symbolischen Wert hat, bleiben die Flaschen gleich an Ort und Stelle verteilt übers ganze Stadtgebiet zurück. Es ist widerlich! Verantwortliche in Politik und Verwaltung sollten sich häufiger mal "ins Leben" wagen, dann würden sie nicht so häufig von Fehlentwicklungen überrascht.

Wenn es der Politik tatsächlich so wichtig wäre, den Alkoholkonsum einzudämmen, würde sie zunächst einmal den Verkauf von Alkohol (angefangen beim Bier) eindämmen und es nicht zulassen, dass an jedem Imbissstand und Kiosk, in jeder Tankstelle und jedem Supermarkt Alkoholika aller Volumenprozente uneingeschränkt verfügbar sind. Der Jugendschutz ist ein Witz, denn im Zweifel wird eben jemand losgeschickt, der volljährig ist und Zugriff auf alles hat. Das öffentliche Besäufnis ist allerdings kein reines Jugendphänomen, auch junge Erwachsene frönen dem ja gerne. Da hilft keine Altersgrenze. Die skandinavischen Länder könnten hier Vorbild sein. Nun komme mir aber keiner und sage, in Deutschland habe Alkohol eben einen anderen Stellenwert, er sei sozusagen Kulturgut und daher unantastbar. Man muss nur wollen!

Michael Szczepaniak, Berlin-Karlshorst

Sehr geehrter Herr Szczepaniak,

was Sie in Berlin beobachten, berichten mir als Drogenbeauftragte der Bundesregierung Bürger aus allen Teilen Deutschlands. Nicht nur in großen Städten, sondern auch in ländlichen Bereichen nimmt der Alkoholkonsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen deutlich zu. Aber nicht nur der Konsum nimmt zu, sondern auch der exzessive Alkoholkonsum bis hin zur Bewusstlosigkeit. Alkoholkonsum hat schon immer eine gewisse Rolle beim Erwachsenwerden gespielt, in den letzten fünf bis zehn Jahren hat sich aber sowohl Quantität als auch Qualität des jugendlichen Alkoholkonsums verändert. Es wird deutlich mehr Alkohol getrunken, insbesondere wird mehr Bier und Wodka getrunken, Mädchen trinken mehr als früher und regelmäßiges Rauschtrinken hat stark zugenommen. So ist innerhalb von drei Jahren der Anteil der Jugendlichen zwischen zwölf und 17, die sich mindestens einmal im Monat betrinken von 20 Prozent auf 26 Prozent angestiegen. Neue Zahlen deuten darauf hin, dass diese Ziffer inzwischen bei über 30 Prozent liegt. Dagegen ist der genussvolle, maßvolle Alkoholkonsum zurückgegangen. Auch hat sich der Alkoholkonsum, gerade auch in Berlin, „entgrenzt“: War Alkoholkonsum bisher auf bestimmte Bereiche beschränkt (Kneipe, Wohnung, Feste etc.), so ist es inzwischen chic und scheinbar normal, von morgens bis abends mit der Bierflasche in der Hand durch die Stadt zu schlendern. Insgesamt entwickelt sich in Deutschland – zumindest unter den jungen Menschen – allmählich eine britische Trinkkultur.

Diesem Prozess versuche ich als Drogenbeauftragte der Bundesregierung durch eine Koordinierung der verschieden Präventionsmaßnahmen und eine mit den Ländern, Verbänden und Bundesministerien abgestimmte Strategie – dem Nationalen Aktionsprogramm Alkoholprävention – entgegenzuwirken. Dieses Nationale Aktionsprogramm wird zurzeit im Drogen- und Suchtrat beraten und nach der Verabschiedung soll noch dieses Jahr mit der Umsetzung begonnen werden. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass bereits zahlreiche präventive Maßnahmen realisiert sind und ihre Wirkung entfalten. Beispielsweise betreut das Bundesmodellprojekt „HaLT - Hart am Limit" jugendliche Rauschtrinker und baut gleichzeitig präventive Netzwerke in der Kommune vor Ort auf. Ein anderes Projekt, das gezielt jugendlichen Alkoholkonsum vorbeugt, ist das Projekt „NaToll – Bist du stärker als Alkohol“. Der von Ihnen angesprochene unerlaubte Verkauf von Alkohol an Jugendliche verstößt gegen das Jugendschutzgesetz. Über dieses Vollzugsdefizit habe ich bereits mit Frau von der Leyen am Runden Tisch Jugendschutz beraten und es sind bereits neue Maßnahmen, auch in Absprache mit dem Einzelhandel, angelaufen, die durch neue Kassensysteme eine strengere Kontrolle sicher stellen und so den unerlaubten Verkauf eindämmen.

Allerdings ist hier nicht nur der Einzelhandel gefragt, sondern jeder Bürger, wir benötigen eine gesamtgesellschaftliche Kultur des Hinsehens, wenn wir die von Ihnen angesprochenen Probleme nachhaltig lösen wollen.

Mit freundlichen Grüßen

— Sabine Bätzing (SPD), MdB,

Drogenbeauftragte der Bundesregierung

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