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Meinung: Ist Nichtwählen demokratisch?

„Wer sind die Nichtwähler?“ von Caroline Fetscher vom 20.

„Wer sind die Nichtwähler?“ von Caroline Fetscher vom 20. September

Wo soll denn der Nichtwähler sein Kreuz machen, wenn er sich von keiner der antretenden Parteien ausreichend vertreten fühlt? Wenn Themen, die ihm wichtig erscheinen und von denen er meint, dass sie für die Zukunft unseres Landes von entscheidender Bedeutung sind, in den Wahlprogrammen der Parteien gar nicht vorkommen - oder bestenfalls bei der einen oder anderen unter ferner liefen?

In diesem Fall irgendwo ein Kreuz zu machen würde bedeuten, dass die ausgewählte Partei dieses Kreuz als volle Zustimmung zu ihrem Programm interpretieren, die Belange des Wählers aber in keiner Weise berücksichtigen und vertreten würde.

Da scheint es mir doch besser, sich der Stimme zu enthalten, damit dieses Missverständnis erst gar nicht aufkommt, und ich bin froh, dass wir in Deutschland diese Möglichkeit haben.

Peter Breitling, Fulda

Als kurz nach der Wende einer der westdeutschen Kabarettisten sagte: „Der Wähler gibt seine Stimme ab bei der Wahl, mehr hat er nicht zu sagen“, hielt ich das zunächst für eine Überspitzung – aber der Mann hatte recht. Ich habe meine Stimme abgegeben, aber keinen Einfluß mehr, wer sich danach richtet, was ich gewählt habe. Über den Wähler wird kurz vor der Wahl gesprochen - nach der Wahl geht es nur noch um die Parteien, und die haben offensichtlich vergessen, dass sie von Menschen gewählt wurden, die bestimmte Hoffnungen mit der Wahl verbunden haben.

Alles für die Parlamentarier, die Banken - übrige Krumen für die Hartz-IV-Empfänger und Niedriglöhner. Wieweit stimmen die Ergebnisse der Regierungspolitik noch mit dem überein, was die Wähler wollten? 18 Prozent aus dem Stand für Horst Schlämmer - deutlicher kann doch nicht der Vertrauensverlust in die Politiker zum Ausdruck kommen.

Aber die Politiker sehen keinen Grund etwas zu verändern, sich dem Wähler zuzuwenden. Er darf weiter seine Stimme abgeben - oder kann zu Hause bleiben.

Eberhard Backhaus, Berlin-Fennpfuhl

Lieber Herr Breitling,

lieber Herr Backhaus,

Sie schreiben, Ihre Stimme sei praktisch wertlos. Sicher, auch meine Wahl heute ist nur eine von über 60 Millionen, die zur Wahl gehen und über Parlament und Regierung bestimmen können. Eine von Millionen. Ein Sandkorn am Meer.

Und doch wird an diesem Sonntag zusammen mit vielen anderen Mitbürgern entschieden, welche Parteien mit welchen Mehrheiten im Parlament sein werden. Und die haben ja nun einmal unterschiedliche Programme und unterschiedliche Koalitionswünsche.

Sie entscheiden, um nur einige sehr realistische Beispiele zu nehmen, über Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot und die relative Größe der bisherigen drei Oppositionsparteien. Schwarz-Gelb zum Beispiel will in Ökonomie, Sozialem und Energie etwas anderes als Schwarz-Rot. Und nebenbei entscheiden Sie, auch dadurch, dass Sie mit möglichst vielen anderen zur Wahl gehen, mit darüber, ob eine Partei wie die NPD, die allen Ernstes eine brutale ethnische Säuberung von zig Millionen „Mischlingen“ und „Bastarden“ will, von den Wählern ganz ins Aus verbannt wird.

Die demokratische Wahl ist schon das entscheidende Instrument unserer rechtsstaatlichen Demokratie. Stellen Sie sich nur einen Moment lang vor, über Sie würde ohne Kontrolle von Parlament, Justiz und Öffentlichkeit diktatorisch nach Belieben verfügt – wie zum Beispiel gegenwärtig im Iran.

Herr Breitling, da Ihre Interessen nicht vertreten werden würden, schreiben Sie, enthalten Sie sich lieber der Stimme und gehen nicht zur Wahl. Das klingt plausibel; nur haben Sie die Interessen nicht genannt, auf die die Parteien nicht eingehen. Deswegen kann auch ich nicht darauf eingehen. Ich nehme daher das Beispiel, das Helmut Schmidt dieser Tage angeführt hat: in der Tat hat es kaum eine Debatte über Außenpolitik und auch nicht über den Kriegseinsatz in Afghanistan gegeben. Das ist in der Tat eine Schwäche dieses Wahlkampfs und auch der Medien, die bis auf wenige Ausnahmen nicht präzise über die Lage vor Ort berichten. Aber ich bin mir sicher, dass dieses Thema in den nächsten Monaten heiß diskutiert werden wird. Und wenn Sie genau hinschauen, gibt es auch hierzu erhebliche Unterschiede in der Haltung der demokratischen Parteien – von der CSU bis zur Linken.

Nehmen Sie ein zweites Beispiel: Der Wahlkampf hat, obwohl für viele und über lange Strecken tatsächlich langweilig, immerhin ergeben, dass sich alle Parteien rhetorisch stark ins Zeug für kostenlose Kindertagesstätten und mehr Geld in Schulen und Hochschulen legen. Je stärker sie das tun, desto mehr können wir sie, wenn wir wollen, daran erinnern. Hier in Berlin zum Beispiel, und sicher auch bei Ihnen in Fulda. Wir können zusammen mit Initiativen oder Gewerkschaften uns dafür einsetzen, dass es tatsächlich zu gebührenfreien Kindertagesstätten kommt, dass wir endlich ein besseres Verhältnis zwischen Lehrern und Kindern in der Grundschule haben. Das Gleiche gilt für die Hochschulen.

Lebendige Demokratie ist also mehr als einmal vier Jahre ein Kreuz machen, vor allem in unseren Kommunen. Aber selbst das Kreuz heute mit den vielen anderen Kreuzen darüber entscheiden, wer in unserem Auftrag regieren wird. Gehen Sie vielleicht doch wählen! (Ich bin sicher, Sie werden sich sonst irgendwann darüber ärgern, dass Sie es nicht getan haben - und so schlecht ist das Wetter heute gar nicht!)

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

— Prof. Dr. Hajo Funke, Otto-Suhr-Institut für

Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin

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