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Meinung: Moderner Werteunterricht findet in den Warenhäusern statt

„KirchenKampf in Spandau“ vom 11. März 2005 Religion basiert nicht auf Wissen, sondern auf Glauben.

„KirchenKampf in Spandau“

vom 11. März 2005

Religion basiert nicht auf Wissen, sondern auf Glauben. Deswegen kann ein Pflichtfach LER auch nicht das Fach Religion ersetzen. Vielmehr führt die bloße Wissensvermittlung über alle Religionen zu einer Beliebigkeit der Religionen, da alle Religionen als gleichwertig dargestellt werden, ohne dass Glauben vermittelt wird. Damit einher geht eine Distanzierung von Religionen. Das dürfte von den Regierungsparteien in Berlin auch so beabsichtigt sein. Für Schüler, die einer Religionsgemeinschaft angehören, ist dies aber nicht angemessen. Ihnen muss auch der Glaube vermittelt werden können, ohne dass ein Pflichtfach LER sie zur Distanzierung von der eigenen Religion anhält. Ein Kompromiss könnte darin bestehen, dass für die Jahrgänge 5 und 6 LER als Pflichtfach vorgesehen wird, um den Schülern Wissen zu vermitteln, und anschließend LER nur noch als Wahlpflichtfach, das durch die Belegung von Religionsunterricht abgewählt werden kann.

Michael Hörst, Berlin-Mitte

Frau Buttgereit und jeder andere, der sich die Mühe macht, sich einmal unvoreingenommen mit dem konfessionellen Religionsunterricht auseinanderzusetzen, müsste wissen, dass die Begegnung mit gelebtem Glauben in der Gestalt der Religionslehrkraft nichts mit Indoktrination zu tun hat. Der Religionsunterricht beider christlicher Kirchen setzt an den Lebenserfahrungen und Fragen der Schüler an und zielt schon seit 30 Jahren darauf ab, Schüler zu einem eigenständigen, fundierten Urteil im Hinblick auf Glauben und Religion(en) zu befähigen.

Der dem Grundgesetz innewohnende Begriff von Religionsfreiheit geht davon aus, dass der weltanschaulich neutrale Staat im Bereich der Werte auf Voraussetzungen zurückgreift, die er selbst nicht schaffen und verordnen kann, und dass er deshalb im Bereich der Werteerziehung auf die Kooperation mit den Religionsgemeinschaften angewiesen ist. Aber diese Erkenntnis hat in der Berliner Linken leider keine Resonanz gefunden. Die berechtigte Frage, warum man nicht die Eltern und in den Oberschulen die Schüler in einem Wahlpflichtbereich selbst entscheiden lässt, wird seit Jahren von PDS- und SPD-Bildungspolitikern nicht plausibel beantwortet. Ich sehe darin einen Mangel an demokratischer Toleranz in Weltanschauungsfragen.

Siegmund Pethke, katholischer Religionslehrer an einer Realschule und einem Gymnasium im Ortsteil Wedding

„Für jedes Leben lernen“

vom 10. März 2005

In einem hat Markus Hesselmann Recht: die Debatte über Ethik, Werte und Moral bietet Chancen – auch für die Religionsgemeinschaften. Sie kann zu zwei scheinbar widersprüchlichen Ergebnissen führen. Erstens wird man die Kirchen nicht einfach als Werteagenturen in Anspruch nehmen können, sobald man feststellt, dass das überkommene Wertesystem ins Rutschen geraten ist. Seit den Zeiten Napoleons haben sie die Aufgabe verloren, im Auftrage des Landesherrn für Moral und Sitte zu sorgen.

Aber gleichzeitig wird sichtbar werden, dass die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unersetzlich sind bei der Entwicklung und Pflege von Werten. Werte kann man nicht „lehren“ wie eine Fremdsprache, man kann sie nicht beweisen wie einen Satz der Mathematik, und es reicht auch nicht, wenn man Wissen über sie „vermittelt“ wie über Phänomene von Natur und Geschichte. Werte müssen „geboren“ werden – aus Hoffnungen und aus Erzählungen. Die Erzählung von der Gottebenbildlichkeit des Menschen ist die Basis der Werte von der Würde des Menschen und seiner Freiheit. Die Vision einer klassenlosen Gesellschaft legt den Grund für ein Selbstbewusstsein der Benachteiligten und die Solidarität mit ihnen. Solche Erzählungen und Utopien wollen nicht nur zur Kenntnis genommen werden. Sie müssen, wenn sie Werte transportieren sollen, auch innerlich akzeptiert werden. Das geht nicht von einem „neutralen“ Standpunkt aus.

Joachim Hoffmann, Schönwalde

Der Leitartikel von Markus Hesselmann beschreibt genau jenen liberalen Geist, der unserer Verfassung zu Grunde liegt. Glaubensfragen sind Privatsache – aber Angelegenheit der Glaubensgemeinschaften. Deren ungestörte Religionsausübung wird allerdings durch den Staat gem. Art. 4 GG ausdrücklich gewährleistet. Ein Werteunterricht, der Toleranz durch Verstehen und Verständigen zwischen den Glaubensgemeinschaften fördert, ist genau das, was wir in dieser zunehmend globalisierten Welt brauchen.

Prof. Dr.-Ing. Helmut Kramer, Hamburg

Wenn ich noch meinen Dienst im evangelischen Religionsunterricht an zwei Berliner Schulen versehen würde, so böte sich der Beitrag von Hesselmann als Anschauungsmaterial für eine Unterrichtsreihe zum Thema „Ideologie(n) und Ideologiekritik“ an. Hieran könnte ich nämlich meinen unmündigen, konfessionell geprägten „Ghetto-Kids“ (frei nach Hesselmann) als Erstes veranschaulichen, wie peinlich es im Erwachsenenalter werden kann, wenn man über keine fundierte religiöse Bildung verfügt, beispielsweise, wenn man nicht mehr weiß, dass das Alte Testament nicht nur einfach „jüdisch geprägt“, sondern durch und durch jüdisch ist (!), die Worte „Eucharistie“ und „Abendmahl“ zunächst einmal nichts weiter als Äquivalente sind oder dass man als Christ unter „Ökumene“ nicht in erster Linie den Dialog zwischen Christen und einem „größeren Publikum“ versteht.

Als Zweites würde ich natürlich als zwielichtiger Missionar und Glaubensapostel – denn das bin ich ja wohl als evangelischer Theologe am Lernort „Schule“ in den Augen des Kommentators – meine Schüler insofern „indoktrinieren“, als dass die „Besinnung auf die eigenen kulturellen und geistigen Grundlagen“ überhaupt nicht ohne das Wissen um die spezifischen Inhalte des christlichen Glaubens zu verstehen sind. Und wenn ich dann noch Zeit hätte, ginge ich dreist zu den „Ghetto-Eltern“ meiner marginalisierten „Kids“ und würde weiter – intolerant wie ich bin – für einen ordentlichen konfessionellen Religionsunterricht als Teil eines Wahlpflichtfachbereiches streiten.

Den letzten Rest der unbußfertigen „Alltagsatheisten und -agnostiker“, die ihre Kinder partout nicht zu mir in den Religionsunterricht schicken wollen, würde ich mit gutem Gewissen dem ewigen Ratschluss Gottes und einem noch einzurichtenden Wahlpflichtfach „Ethik/Philosophie“ anvertrauen. Noch ein Letztes: Ein Blick in unser Grundgesetz Art. 7 Abs. 3 kann auch ungemein lehrreich sein!

Christian Meißner, Bundesgeschäftsführer des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Berlin

„Ethikunterricht – Koalition kommt Kirchen entgegen“ vom 9. März 2005

Was spricht dagegen, dass die Schulen selbst in der Schulkonferenz (mit Lehrern, Schülern und Eltern) entscheiden, ob sie Religionsunterricht oder/und LER (oder Ethikunterricht) als (Wahl-)Pflichtfach anbieten?

Thilo Steinkrauß, Berlin-Charlottenburg

„Werte müssen durchgesetzt werden“ vom 6. März 2005

Dass Werte durchgesetzt werden müssen, ist ein Missverständnis auf der Erkenntnisseite. Werte unterliegen keinerlei Beliebigkeit und sind auch nicht im Kaufhaus oder in einem Tante-Emma-Laden zu beziehen. Dem Gewissen ist alles unterworfen, und zwar auch dann, wenn wir in vielen Dingen unsere Wertvorstellungen deutlich abgrenzen zu den Wertvorstellungen anderer Gemeinschaften. Dies ist auch richtig so. Wir dürfen verstehen, wir dürfen uns inspirieren und bereichern lassen, aber wir müssen nicht alle auf dieser Welt das Gleiche tun, fühlen und denken.

Hans Eike v. Oppeln-Bronikowski, Berlin-Charlottenburg

Glaubt man wirklich, dass sich Migrantenkinder an den Werten einer pluralistischen Gesellschaft orientieren, wenn es ein Schulfach (mit Noten?) dazu gibt?

Schüler sind sehr aufmerksame Beobachter: Sie schauen den Erwachsenen zuerst genau auf die Hände, dann auf den Mund. Sie erleben, dass wir in weiten Teilen eine Armenschule betreiben. In alten, zum Teil ungepflegten, verschmutzten Schulgebäuden mit unerträglichen Toiletten (jedes Einkaufszentrum wäre bei einem solchen Gebäudemanagement schnell ohne Kunden) werden Kinder und Jugendliche für kurze Zeit ohne angemessenes Verpflegungsangebot belehrt. Nach 13/14 Uhr wird die Mehrzahl möglichst schnell nach Hause geschickt. Viele gehen dann in Einkaufszentren: Dort ist es sauber, gut geheizt, sehr anregend, die Toiletten sind sauber – dort findet Werteunterricht statt.

Franz Horlacher, Berlin-Mitte

„SPD: Werteunterricht als Schulfach für alle“ vom 1. März 2005

Es ist nicht anzunehmen, dass katholische Religionslehrer sich von Papstworten distanzieren werden. Genauso wenig wie islamischer Religionsunterricht die Frauenemanzipation aktiv fördert. Gerade deshalb ist doch ein verbindlicher Werteunterricht für alle Schülerinnen und Schüler so wichtig. Und zwar nicht als Wahlpflichtfach, das dann die religiös gebundenen Koranschüler oder Christen abwählen können.

John Röhe, Berlin-Biesdorf

Was ist los, Genossinnen und Genossen? Haben wir euch so verprellt mit unseren Sozialdiensten, unserem Engagement in der Friedensbewegung, unseren feministischen Auslegungen, unserer Jugendarbeit, unserem jüdisch-christlichen Dialog, unserem Reden in den Predigten, dass jeder und jede auch an das Gemeinwohl denke? Macht es euch Angst, dass wir seit gut 50 Jahren in dieser Stadt dafür gut waren, Werteunterricht zu erteilen, nicht nur für die Kirchenmitglieder, sondern für alle, die wollten?

Susanne Dannenmann, Schulpfarrerin in Charlottenburg

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