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Meinung: Nur die eigenen Schäfchen waren wichtig

Zum Volksentscheid Pro Reli/ Pro EthikIch wollte dem Tagesspiegel mal ein großes Lob für die insgesamt äußerst ausgewogene Haltung in der Pro-Reli/Pro-Ethik-Debatte aussprechen. Alle Sichtweisen kamen ins Blatt, ein vielfältiges Meinungsbild.

Zum Volksentscheid Pro Reli/ Pro Ethik

Ich wollte dem Tagesspiegel mal ein großes Lob für die insgesamt äußerst ausgewogene Haltung in der Pro-Reli/Pro-Ethik-Debatte aussprechen. Alle Sichtweisen kamen ins Blatt, ein vielfältiges Meinungsbild. Vorbildlich. Chapeau!

Dr. Werner Strube, Berlin-Pankow

Die Berliner haben sich gegen Religion als Pflichtfach in den Schulen entschieden - heißt es. Der rot-rote Senat jubelt. Ein weiterer Schritt, dem Volk endlich sein „Opium“ (nämlich die Religion) auszutreiben.

Ob das ohne Wahlmanipulation gegangen wäre, bleibt offen. Wahlmanipulation, weil man den Volksentscheid, gegen alle fiskalische Vernunft aber sicher bewusst, von der kurz bevorstehenden Europawahl abgekoppelt hatte. Abgekoppelt, um eine niedrige Wahlbeteiligung zu erreichen. Niedrige Wahlbeteiligung, um das Mindestquorum von 25 Prozent aller Wahlberechtigten zu verfehlen. Denn ohne diese absoluten 611 000 Stimmen gilt jeder Volksentscheid, mit welchen Mehrheiten auch immer, als abgelehnt. Und zur Europawahl gehen natürlich mehr Wahlberechtigte. Schließlich noch die Werbung gegen Pro Reli aus Steuermitteln.

Ob korrekte, also nicht manipulierte, Wahl den Erfolg gehabt hätte, das Grundgesetz, das ja Religion als ordentliches Pflichfach vorschreibt, endlich auch in Berlin einzuführen, bleibt zweifelhaft. Denn immerhin hat eine dreiprozentige Mehrheit für die immer noch gültige sowjetische Regelung entschieden, die Religion nur als freiwilliges Fach zulässt. Deren Folgen für das Niveau der Berliner Schulen sind bekannt. Anfechtung der nicht korrekten Wahl – eigentlich eher bekannt aus Entwicklungsländern – wird zu prüfen sein. Wenn das alles nichts bringt, kann man Eltern nur noch empfehlen, auf Privatschulen auszuweichen – leider mit der Folge weiteren Niedergangs der öffentlichen (Rest-)Schulen.

Dr. Ernst-Manfred v. Livonius,

Schwielowsee/OT Geltow

Ich bin Mitglied der evangelischen Kirche, bin für Religionsunterricht in staatlichen Schulen, wohne im Westen der Stadt, bin zur Wahl gegangen und habe mit Nein gestimmt. Vielleicht ist es für die kirchlichen Strategen interessant zu erfahren, wieso. Der Grund war die Pro-Reli-Kampagne selbst.

Ich fand die Alternative falsch, die sie zur Wahl stellte: entweder sich gegen Religion an staatlichen Schulen entscheiden oder gegen einen gemeinsamen Werte-Unterricht für alle Schüler. Ich bin aber für beides. Wahr ist: Religion kann man nicht „neutral“ vertreten – Ethik übrigens auch nicht. Ich verstehe nicht, weshalb nicht dafür gekämpft wurde, dem Religionsunterricht ein garantierte Beteiligung am gemeinsamen Werteunterricht der Schulen zu sichern. Solche Vorschläge lagen auf dem Tisch. Stattdessen wurde nur um den eigenen Pferch der eigenen Schäfchen gekämpft.

Geärgert hat mich dann die Art der Kampagne. Ich fühle mich für dumm verkauft, wenn mir auf tausend Plakaten eingeredet wird, es gehe um die Freiheit, oder wahrheitswidrig behauptet wird, der Religionsunterricht solle aus der Schule gedrängt werden.

Vollends ärgerlich fand ich die Klage vor Gericht, das der Stadtregierung die öffentliche Finanzierung ihrer – vergleichsweise bescheidenen – Gegenkampagne untersagt hat. Sollte das Urteil Bestand haben oder gar durch Fortsetzung der Klage zementiert werden, so hätten die Kirchen eine höchst fatale neue Lage für Volksentscheide zu verantworten. Denn die Initiatoren von Volksentscheiden sind ja nicht „das Volk“ (wie sie gern glauben machen). Sie sind immer zuerst Vertreter einer Minderheit, die Entscheidungen der von der Mehrheit gewählten Repräsentanten ändern wollen, indem sie die Mehrheit überzeugen. Das ist auch gut so, aber nur solange die gewählten Vertreter des Volkes auch angemessene Mittel bekommen, um ihre demokratisch legitimierte Entscheidung zu verteidigen. Wo dies verboten wird kann jeder Populist mit genügend Geld die öffentliche Meinung manipulieren.

Burkhard Müller, Berlin-Nikolassee

Was für ein Unfug hier mit dem Begriff Freiheit getrieben wird! Schulpflicht ist das Gegenteil von Freiheit, aber im gesellschaftlichen Allgemeininteresse notwendig. Wo kämen wir hin, wenn wir Schülern die Lehrinhalte zur Wahl stellen? Demnächst werden uns die religiös Bewegten „im Namen der Freiheit“ über die Wahl zwischen Biologie und Schöpfungslehre abstimmen lassen. Und am Ende können wir auswählen zwischen Scharia, Altem Testament und Grundgesetz.

Dr. Lorenz Claussen, Berlin-Dahlem

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