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Meinung: Reformiert die CDU ihr Menschenbild?

„Merkel betont das ,C’ im Namen“ vom 12. Juni und „Sozialstaat ist nicht nur für Arme“ vom 16.

„Merkel betont das ,C’ im Namen“ vom 12. Juni und „Sozialstaat ist nicht nur für Arme“

vom 16. Juni 2005

Zumindest einem wird diese Äußerung gegen die Überzeugung gehen: Vor einigen Tagen hat Kardinal Meisner betont, was christlich ist, könne eine Partei nicht definieren, dafür sind „wir zuständig!“ Man muss dem Kölner Oberhirten nicht in allem beipflichten, aber in diesem Fall erscheint mir seine Kompetenz wesentlich größer. Was meint Frau Merkel damit, man müsse allerdings christliche Werte und Anschauungen den „veränderten Zeiten anpassen?“ Versucht sie (und ihre Partei), der Bergpredigt und den zehn Geboten weitere Kernaussagen hinzuzufügen? Will sie die Bürger vorwarnen, im Falle ihres Wahlsieges würden alle Beschlüsse christlichem Menschenbild entsprechen, auch wenn der Einzelne die Interpretation anzweifelt?

Zum 60. Jahrestag der Parteigründung betont Frau Merkel, die CDU müsse die Interessen aller Bevölkerungsschichten repräsentieren. Das halte ich für unmöglich, da dieser Anspruch streng genommen auf nur noch eine regierende Partei hinausliefe. Eine für alle, das hat noch nie und wird auch nie funktionieren. Dass die „Stärkeren den Schwächeren helfen“, das ist ein Allgemeinplatz, dafür braucht es keine Volkspartei. Der Wahlausgang bleibt abzuwarten, aber trotzdem: Der Herr möge uns verschonen vor einer Partei, die christliches Denken und Verhalten nach Gutdünken ihren Zwecken anpasst und auf Linie bringt – statt umgekehrt.

Angelika Oden, Berlin-Marienfelde

Sehr geehrte Frau Oden,

natürlich bestimmt die Kirche als Gemeinde der Christen und als Verkünder

des Wortes Gottes, was christlich ist. Keine demokratische politische Partei, schon gar nicht die CDU, macht ihr diese Aufgabe streitig. Genauso wenig beansprucht die CDU für sich das Monopol für eine Politik, die vor den Maßstäben des christlichen Glaubens Bestand haben kann.

Die CDU hat sich jedoch wohl überlegt dazu entschlossen, Politik aus christlicher Verantwortung zu gestalten. Sie will sich, ausdrücklicher und bewusster als andere demokratische Parteien, am christlichen Bild des Menschen orientieren - ein Bild des Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes, der daraus seine unveräußerliche Würde bezieht. Das christliche Menschenbild begründet Freiheit und Verantwortung der Menschen mit dem Bezugspunkt Gott, der menschliche Existenz übersteigt und die Würde des Menschen damit unantastbar macht. Das christliche Menschenbild ist aber auch realistisch: Es stellt Fehler und Unvollkommenheit des Menschen in Rechnung, ohne in Zynismus und Menschenverachtung abzugleiten. Es macht uns möglich, Schuld und Neuanfang, Fehler, Unvollkommenheit und die Vorläufigkeit unserer Erkenntnisse und Handlungen zu akzeptieren, weil sie untrennbar mit unserer Freiheit und Würde verbunden sind.

Die CDU feiert in diesen Tagen ihren 60. Geburtstag. Das christliche Menschenbild war in all diesen Jahren die Orientierung für ihre Politik. Die Christlich Demokratische Union ist auch sehr bewusst nach dem 2. Weltkrieg auf dieser geistigen Grundlage gegründet worden, weil die Menschen erfahren hatten, wohin eine Politik führt, die von einer menschenverachtenden Ideologie ausgeht.

Zugleich ging es darum, eine Gesellschaftsordnung zu finden, die den Menschen nicht nur als Arbeitskraft sieht, sondern in der Ganzheit seiner personellen Würde. Hieraus ist die soziale Marktwirtschaft entwickelt worden, an der die Union bis heute festhält. Lang anhaltende Stabilität, Rechtssicherheit und die Entwicklung von besseren Lebenschancen für alle Schichten der Bevölkerung sind die Früchte dieser Politik. Das christliche Menschenbild ist und bleibt notwendiger und heilsamer Kompass - auch jetzt, bei der Suche nach Wegen aus der Krise von Wirtschaft und sozialer Sicherheit in Deutschland. Das christliche Menschenbild hat der CDU auch immer dabei geholfen, schwierige moralische Fragen in der Rechtssprechung zu entscheiden. So gilt auch bei der Stammzellenforschung, dass die Würde des Menschen und ihr unbedingter Schutz immer höher zu bewerten ist als die Freiheit der Forschung. Menschliches Leben darf zu keinem Zeitpunkt in die Verfügungsgewalt Dritter gelegt werden, nicht am Anfang, nicht am Ende.

Das christliche Menschenbild kann man nicht unvermittelt und bruchlos in praktische Politik umsetzen. Man muss die Eigengesetzlichkeit der Lebensbereiche achten und kennen, wie es die Pastoralkonstitution des II. Vaticanums klar aussagt. Aber es leistet eine Richtungsweisung über alle Irrtümer und Abwege hinweg. Auf diese Richtungsbestimmung darf die CDU nie verzichten. Sie gäbe somit Beständigkeit, Integrationskraft und Maßstäbe auf, auch eigene Fehler zu korrigieren – zum Schaden auch für das ganze Land.

— Dr. Christoph Böhr, Vorsitzender der Wertekommission der CDU Deutschland, stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, Landes- und Fraktionsvorsitzender der CDU Rheinland-Pfalz.

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