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Meinung: Religionskritik hat in der Kirche ihren Raum

Betrifft: „Es lebe der Zweifel“ vom 29. April 2004 Die Reihe zur „Gretchenfrage“ ist interessant!

Betrifft: „Es lebe der Zweifel“ vom 29. April 2004

Die Reihe zur „Gretchenfrage“ ist interessant! Es ist gut, dass der Tagesspiegel das über lange Zeit nicht medienfähige Thema aufgreift. Wie der Beitrag von Michael Rutschky zeigt, betrifft es ja auch jeden von uns, denn: „Wir leben in keiner entzauberten Welt.“

Aber die Kirchenschelte, die mit Rutschkys Position verbunden ist, greift zu kurz. Warum? Zum einen, weil man durch eine Institutionalisierung des Zweifelns der Religion und ihren Abgründen nicht entkommt: Das parallele Vorhandensein relativer Gewissheiten als die absolute Gewissheit schlechthin – die Sichtweise ist leider auch „nur“ eine Glaubenssache. Als solche steht sie aber noch lange nicht über dem Gegenteil: den angeblich zu überwindenden Setzungen absoluter Gewissheiten (als in Wirklichkeit relative Gewissheiten) durch die Kirche und andere Institutionen.

Zum anderen: Die von Rutschky infrage gestellte Autorität der Kirche beruht gar nicht auf Anmaßung („Hüter des guten und wahren Lebens zu sein“), so wahr es ist, dass Anmaßung in der Kirche vorkommt. Sie beruht auf ihrem gewaltigen Schatz der Erfahrung im Umgang mit dem in der Tat gefährlichen Phänomen des Religiösen.

Wahrscheinlich ist all denen, deren Kirchenkritik sich am Gebahren irgendwelcher unliebsamen Würdenträger entzündet, gar nicht bewusst, welch eminent religionskritisches (!) Potenzial gerade die kirchliche Dogmatik des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Und deshalb ist Religionskritik gründlicher als im Raum der Kirche bislang nirgends geübt worden.

Martin Gestrich, Pfarrer, Päwesin

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