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Meinung: Sollte es eine Neuregelung für Organspenden geben?

Zur Berichterstattung über den Vorschlag des Nationalen Ethikrats, Organspenden neu zu regeln Der aktuelle Vorschlag des Nationalen Ethikrats – der Stufenplan zur Änderung der gesetzlichen Grundlage und der organisatorischen Praxis bei Organspenden – ist ein dringend notwendiger Schritt. Das 1997 vom Bundestag beschlossene Transplantationsgesetz, das eine Organentnahme nur bei ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des verstorbenen Patienten zulässt, ist katastrophal gescheitert.

Zur Berichterstattung über den Vorschlag des

Nationalen Ethikrats, Organspenden neu zu regeln

Der aktuelle Vorschlag des Nationalen Ethikrats – der Stufenplan zur Änderung der gesetzlichen Grundlage und der organisatorischen Praxis bei Organspenden – ist ein dringend notwendiger Schritt. Das 1997 vom Bundestag beschlossene Transplantationsgesetz, das eine Organentnahme nur bei ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des verstorbenen Patienten zulässt, ist katastrophal gescheitert.

Obwohl 98 Prozent der Deutschen im eigenen Bedarfsfall eine Organspende erwarten, sind nur 68 Prozent bereit, nach ihrem Tod ein Organ zu spenden, und hiervon haben nur wenige ihre – bisher notwendige – schriftliche Einwilligung erteilt. Während z. B. in Österreich, Italien und Spanien – wo Gesetze existieren, die eine Organentnahme erlauben, wenn der Patient oder die Angehörigen nicht widersprechen – im Durchschnitt nach ein bis zwei Jahren ein Organ transplantiert wird, muss ein Nierenpatient in Berlin zirka acht Jahre auf eine Organspende warten.

Der erste Vorschlag des Stufenmodells des Nationalen Ethikrats, die Verpflichtung der Bürger, sich für oder gegen eine Organentnahme im Todesfall zu entscheiden, setzt das von den Kritikern geforderte und im Grundgesetz gesicherte Selbstbestimmungsrecht der Bürger konsequent um. Ähnlich wie im deutschen Erbrecht würde die staatliche Festlegung nur gelten, wenn der Bürger keine eigene Entscheidung treffen will. Der letzte Wille der Bürger soll als jederzeit abrufbare Information auf der Krankenkassenkarte vermerkt werden. Eine organisatorische Revolution für die Praxis der Organentnahme: Zurzeit entscheiden nämlich in den meisten Fällen die Angehörigen über eine Organentnahme, weil kein Organspenderausweis oder andere Hinweise auf den letzten Willen des Verstorbenen vorliegen. Ein katastrophaler Organmangel in Deutschland und überflüssige Todesfälle sind die Folge.

Uwe Holz, Birkenwerder

Sehr geehrter Herr Holz,

das von Ihnen unterstützte, vom Nationalen Ethikrat vorgeschlagene Stufenmodell zur Regelung der Organspende wäre in der Sache ein radikaler Wechsel weg von der „erweiterten Zustimmungsregelung“ (es können auch die Angehörigen zustimmen) hin zur „Widerspruchsregelung“.

Für mich ist dieser Vorschlag ein Anschlag auf das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht des Menschen, zu dem auch gehört, sich mit bestimmten Fragen nicht auseinanderzusetzen. Sonst entsteht ein gesellschaftliches Zugriffsrecht auf Menschen im Sterbeprozess. Ich wende mich klar gegen einen derartigen Automatismus der Verfügbarkeit. Paradox wird es aus meiner Sicht, wenn eine Widerspruchsregelung als Ausdruck von Autonomie verkauft wird. Es ist kein Ausdruck von Selbstbestimmung, wenn ich gleichsam zur Wahrnehmung meines Rechtes gezwungen werde. Mit der Ablehnung des Vorschlags des Nationalen Ethikrates stehen weder ich noch die Grünen-Bundestagsfraktion alleine. Auch aus SPD und Union kam umfassende Kritik, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung. Auf der einen Seite die Bedrohung des Selbstbestimmungsrechts, auf der anderen Seite die Furcht um die Verletzung der Menschenwürde. Nichtsdestotrotz wird die Widerspruchslösung in einigen europäischen Ländern praktiziert.

Jedoch lautet die zentrale Frage: Ist die „erweiterte Zustimmungsregelung“ überhaupt das Problem – oder sind es völlig andere wie die Organisation der Transplantationskette, die Honorierung von Organentnahmen, die Qualität der Gespräche mit Angehörigen oder die Einstellung der Bevölkerung zur Organtransplantation? Sowohl nationale als auch internationale Erfahrungen sprechen dafür, dass diese Aspekte die zentralen sind, wenn man mehr Organspenden will. Irland macht zum Beispiel deutlich, dass auch mit erweiterter Zustimmungsregelung eine hohe Spendenbereitschaft möglich ist. Statt 13,8 Spenden pro eine Million Einwohnerinnen und Einwohner lautet die irische Zahl 21,1. Sie liegt deutlich höher als in Ungarn (16,1), wo eine Widerspruchsregelung gilt. Auch innerhalb Deutschlands gibt es große Unterschiede: Mecklenburg-Vorpommern weist hohe Spendenzahlen (25,9) auf. Dort gibt es eine funktionierende Zusammenarbeit von Krankenhäusern und Transplantationszentren. Schweden hat in den letzten Jahren mehrfach zwischen den Logiken Zustimmung beziehungsweise Widerspruch gewechselt – jeweils ohne Auswirkungen auf die Zahl der Organspenden.

Notwendig sind strukturelle Veränderungen. Spanien und Mecklenburg-Vorpommern machen es vor: Politik, Kliniken sowie Ärzteorganisationen ziehen an einem Strang. Es gibt klare Verfahren und professionell Verantwortliche in den Kliniken. So sehen Lösungen aus! Stattdessen schlägt der Nationale Ethikrat eine autoritäre Scheinlösung vor. Sie wird Ängste schüren vor Übergriffen am Lebensende und die Organisationsprobleme der Organspende nicht lösen.

Mit freundlichen Grüßen

— Biggi Bender, gesundheitspolitische Sprecherin

der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

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