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Meinung: Verdächtige dürfen nicht gefoltert werden – Mörder auch nicht

„Folterdrohung: Polizeivize verurteilt, aber unbestraft“ und „Nicht mal den kleinen Finger“ vom 21. Dezember 2004 Darf man Unschuldige foltern, um möglicherweise Leben zu retten?

„Folterdrohung: Polizeivize verurteilt, aber unbestraft“ und „Nicht mal den kleinen Finger“ vom 21. Dezember 2004

Darf man Unschuldige foltern, um möglicherweise Leben zu retten? So müsste die Frage im Fall Daschner und in allen anderen dieser Art gestellt werden. In der Diskussion um das Folterverbot ging es vorrangig um die Abwägung von Täterschutz gegen Opferschutz. Das Motiv, Leben retten zu wollen, gewinnt selbstverständlich.

Diese Abwägung ist aber im Zeitpunkt der Vernehmungssituation falsch oder zumindest verkürzt. Im Zeitpunkt der Vernehmung gilt der Verdächtige als unschuldig. Dagegen spricht nur die begründete Vermutung des Polizisten. Jeder kann in die Situation geraten, als Unschuldiger einer Vernehmung unterzogen zu werden. Das Folterverbot soll auch die Erzwingung von falschen Geständnissen aus Angst verhindern. Die Abwägungsfrage stellt sich im Zeitpunkt der Vernehmung, d.h. zum Zeitpunkt der Unschuldsvermutung. Nicht im Nachhinein, wenn man schlauer ist und dies möglicherweise fälschlicherweise aufgrund eines falschen Geständnisses.

Die Abwägungsfrage muss heißen: Darf die Polizei aufgrund von Verdachtsmomenten mit der Gefahr foltern, dass es einen Unschuldigen trifft? Zumindest diese Frage müsste und würde hoffentlich jeder (Richter) mit einem klaren Nein beantworten.

Kai Bruno Westen, Rechtsanwalt und Mediator, Berlin-Charlottenburg

„Daschner hat nicht gefoltert“ vom 19. Dezember 2004

Der Leserbrief von Andreas Ohlsen, Richter am Landgericht Berlin, zum Fall Daschner ist zu abwegig, um eine inhaltliche Antwort zu verdienen. Ohlsens Vorstellung, dass man einen „Niemand“ – und als solchen sieht er den wegen Mordes verurteilten Magnus Gäfgen an – durchaus der Folter unterziehen dürfe, verdreht nicht nur den Sinn der von ihm zitierten Europäischen Menschenrechtskonvention ins Gegenteil. Sie steht auch eindeutig außerhalb des deutschen Verfassungskonsenses. Dass Vertreter autoritärer Regime so denken und reden, hat man immer geahnt. Als öffentliche Bekundung eines Richters in einem Rechtsstaat ist Ohlsens Bemerkung völlig indiskutabel.

Dr. Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte

Der Richter am Landgericht, Andreas Ohlsen, hat mit seinem Leserbrief nicht nur in zynischer Weise öffentlich seine Verachtung gegen Artikel 5 bzw. 3 der UN- und Europäischen Menschenrechtserklärungen gezeigt, sondern auch gegen Artikel 30 der UN-Menschenrechtserklärung verstoßen, der eine Auslegung gegen ihren Sinn verbietet. Zudem hat er sich für jeden offenkundig gegen Artikel 1 unseres Grundgesetzes gestellt. Was muss noch geschehen, damit er aus seinem Amt entfernt wird? Schützen wir unseren Rechtsstaat.

Albrecht Klein, Berlin-Britz

„Richter empört über Leserbrief ihres Kollegen“ vom 21. Dezember 2004

Über den Leserbrief des Richters am Landgericht Andreas Ohlsen kann man nur schockiert sein. Seine Beschreibung des Mörders Gäfgen als Unmensch, Nichtmensch und damit „Niemand“ unterschreitet sogar die NS-Klassifikation des Untermenschen. Herr Ohlsen hat nach Paragraf 3 des Berliner Richtergesetzes geschworen, das Richteramt getreu dem Grundgesetz auszuüben. Das Fundament unserer Verfassung ist die in Art. 1 des Grundgesetzes geschützte Würde des Menschen, die ohne jede Einschränkung unantastbar ist, selbst wenn dieser Mensch ein Kindermörder ist. Wenn Herr Ohlsen für die von ihm vorgenommene Aberkennung der Menschenwürde auch noch das Folterverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention bemüht, lässt sich das nur noch als blanken Zynismus kennzeichnen.

Herr Ohlsen ist ignorant genug, um keinerlei Berührungsängste mit Floskeln zu verspüren, die bedenklich an die schwärzesten Zeiten unserer Geschichte und damit auch unserer Justiz erinnern. Mag man wohlwollenderweise in Erwägung gezogen haben, dass sich Herr Ohlsen durch die Empörung über die Missetat des Kindermörders Gäfgen zu unbedachten Äußerungen hat hinreißen lassen, so wird man durch seine Reaktionen auf die dazu geäußerte Kritik eines Schlechteren belehrt. Herr Ohlsen hat der Justiz großen Schaden zugefügt.

Dr. Peter Weber, Richter am Kammergericht a.D., Berlin-Zehlendorf

Mit seiner Gleichung Magnus Gäfgen = Nicht-Mensch verlässt Herr Ohlsen eindeutig den Boden des Grundgesetzes und ist damit als Richter in einem demokratischen Rechtswesen nicht tragbar.

Dr. Dieter Wohlenberg, Berlin-Schöneberg

Sicherlich wäre Richter Ohlsen mit seinem „Gedankenspiel“ durch das Assessorexamen gefallen. Der kollektive Aufschrei von bestimmten, insbesondere durch im Berliner Landesverband des Deutschen Richterbunds zusammengeschlossene Herrschaften, die Richter Ohlsen ernsthaft die Verfassungstreue absprechen wollen, zeigt das Problem der Justiz in unserer Stadt: Der Opfer-Täter-Ausgleich funktioniert nicht – die Justizsenatorin hat im Tagesspiegel darauf zu Recht hingewiesen.

Verwundert dies? Im wilhelminischen Deutschland gab es Richter, die im obrigkeitsstaatlichen Sinne urteilten. Heute bestehen Teile unserer Rechtspflege aus Leuten, die während ihres Studiums einen anderen Staat wollten oder gar mit der RAF sympathisierten.

Über welche „Folter“ wird hier überhaupt diskutiert? Der Foltervorwurf war Strategie der Verteidigung, scheiterte aber zuletzt vor dem Bundesverfassungsgericht. Polizeivizepräsident Daschner wurde noch nicht einmal wegen Aussageerpressung angeklagt, sondern wegen der Verleitung eines Untergebenen zur Nötigung im Amt (in der Hoffnung ein Kinderleben zu retten). Daschners Fehler: Er hatte einen Vermerk darüber angefertigt und damit künftiger polizeilicher Ermittlung und den Eltern entführter Kinder einen Bärendienst erwiesen.

Yorck Kaempfer, Berlin-Steglitz/Zehlendorf

„Daschner hat nicht gefoltert“ vom 19. Dezember 2004

Ohlsens Behauptung, es sei keine Folter angewandt, sondern diese nur angedroht worden, widerspricht der Definition, die bereits die Androhung von Schmerzen, Erniedrigung etc. als Folter sieht. Der herangezogene Vergleich von Bau und Bauvorhaben hinkt auch auf beiden Beinen. Oder ist dieser Richter etwa der Ansicht, Mord sei strafbar, das Vorhaben aber nicht? Dann stünde er in massivem Widerspruch zu den verschiedenen Urteilen wegen der Planung, also des Vorhabens von Attentaten, Sprengstoffanschlägen, Entführungen etc.

Uwe Diefenbach-Moschick, Berlin-Schöneberg

Zunächst geht Herr Ohlsen von richtigen, allgemein gültigen Voraussetzungen aus. Das ist das Gefährliche an seinem Ansatz. Jeder Mensch wünscht sich, dass Richter aus „Gesetz + Verstand + Herz + ein bisschen Mut“ das Recht gewinnen. Herr Ohlsen irrt aber, wenn er meint, es sei keine Folter angewandt worden. Gefährlich wird Herr Ohlsen, wenn er ausdrücklich als Richter propagiert, ein Mensch könne, durch welche Gräueltat auch immer, zu einem „Niemand“, der nicht mehr als Mensch zu verstehen sei, mutieren.

Zum einen muss sich Herr Ohlsen sagen lassen, dass er offenbar das Wesen der Folter gründlich verkannt hat. Nicht allein die körperlichen Leiden machen diese Art der Misshandlung von Menschen so verwerflich. Vielmehr ist es die gesucht perverse Verbindung von Schmerzen und seelischen Leiden. Oft genug reicht die seelische Qual, um das Ziel der Folterer zu erreichen.

So sei allen Richtern und anderen Organen der Rechtspflege ins Stammbuch geschrieben: Richter, die die Menschenwürde unter Umständen für antastbar halten, gehören ihrer Amtslast entbunden. In Ansehung der historischen Bürde, die wir Deutschen tragen, sollten wir den Ausprägungen der Angriffe auf die Menschenwürde besonderes Augenmerk schenken. Dies sollten wir die Angreifer jederzeit deutlich spüren lassen.

Jan Lehniger, Rechtsanwalt, Berlin-Tempelhof

„Was heißt hier Würde?“ vom 17. Dezember 2004

Karin Matussek hat einen Beitrag zu der unsäglichen Folterdiskussion geleistet, zu dem man ihr nur gratulieren kann. Obwohl die Gesetzeslage, nicht zuletzt durch das Grundgesetz (Art. 1 und 104), keine wie auch immer begründete Ausnahme zum Folterverbot zulässt, versuchen leider auch namhafte Juristen immer wieder durch rabulistische Winkelzüge diesen Verfassungsgrundwert aufzuweichen. So fällt unangenehm auf, dass selbst hochmögende Strafrechtler, sich nicht scheuen, wenn es denn um die Untermauerung ihrer verfassungsprengenden Thesen geht, Grundwerte, wie z.B. die Unschuldsvermutung, die für jeden nicht rechtskräftig verurteilten Täter gilt, schlicht zu ignorieren. Möchte man wirklich in einem solchen Land leben, wo heillose Juristen dieser Art Recht sprechen würden?

H.-Jürgen Borchelt, Berlin-Kladow

Gerade der Fall Daschner zeigt, wie fatal die Anwendung von Folter ist. Die Notstandssituation, der die Polizisten mittels Folterandrohung begegnen wollten, bestand in Wahrheit nur in der Vorstellung der handelnden Personen (das Kind war ja bereits tot). Auch das wohlfeile Argument „Wenn es dein Kind wäre ...“ lässt sich umdrehen: Man stelle sich nur einmal das eigene Kind nicht in der Rolle des Tatopfers vor, sondern in der Rolle eines tatsächlich Unschuldigen, der aufgrund irgendwelcher vermeintlicher Indizien von Polizisten bedroht, verprügelt oder auf noch schlimmere Weise gefoltert wird.

Dr. Lorenz Claussen, Rechtsanwalt, Berlin-Mitte

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