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Meinung: Warum gibt Hartz IV den Westkindern mehr als den Ostkindern?

„SPDFraktion will Hartz nochmal ändern“ vom 25. August 2004 Ich heiße Tina Schenke, bin Schülerin einer 10.

„SPDFraktion will Hartz nochmal ändern“ vom 25. August 2004

Ich heiße Tina Schenke, bin Schülerin einer 10. Klasse hier in Brandenburg, lebte vorher in Berlin und bin Betroffene der Hartz-Gesetze. So wie wir Kinder und Jugendlichen von der Gesundheitsreform direkt betroffen sind, trifft dies auch für Hartz IV zu, beschlossen von einer großen Parteienkoalition aus SPD, Grünen, CDU und FDP.

Meine Mutti, die an den Protesten teilnimmt, erhält ab Januar als Langzeitarbeitslose wie circa 500 000 andere Betroffene in Deutschland kein Geld mehr, nicht weil wir über Vermögen verfügen, nicht weil mein Papa zu viel verdient, nein, er liegt eben nur über den vorgeschriebenen Regelsätzen von Hartz IV. Für mich bedeutet das ab Januar: weniger Taschengeld, keine größere Klassenfahrt, Einschränkungen im Urlaub und zu überlegen, ob ich mir die notwendigen Medikamente gegen meine Allergie noch leisten kann. Sicherlich gibt es viele Gründe, wegen oder gegen Hartz IV auf die Straße zu gehen. Aber eigentlich reicht schon folgende Festlegung: „Für jedes Kind gibt es – je nach Wohnort Ost oder West –199 Euro bis 276 Euro.“

Warum ist ein Westkind über 38 Prozent mehr wert als ich? Hartz IV wird wie die Gesundheitsreform auf den Rücken der Schwächsten ausgetragen: Zugleich werden die Stärksten durch Senkung des Steuersatzes belohnt, das ist tiefste Ungerechtigkeit, familien-, kinderfeindlich und unsozial.

Tina Schenke, Eisenach

Liebe Tina Schenke,

die Reformen, die mit der Agenda 2010 verbunden sind, beschäftigen momentan das ganze Land. Viele Menschen haben Angst vor der Veränderung. Die Befürchtung, bald ohne eine ausreichende soziale Sicherung dazustehen, ist unbegründet. Gleichwohl verstehe ich die zugrunde liegenden Ängste. Dein Brief - ich hoffe, ich darf Dich noch duzen - gibt mir Gelegenheit, einige Missverständnisse auszuräumen.

Die Debatte um die Arbeitsmarktreformen („Hartz IV“) findet in einer aufgeheizten Atmosphäre statt. Es wird nicht über Tatsachen diskutiert, sondern mit Schlagworten operiert. Es wird über angebliche Veränderungen berichtet, bei denen die Regelung schon lange in Kraft ist oder sich sogar zugunsten der Bürgerinnen und Bürger verbessert. Der viel diskutierte Grundfreibetrag bei Kindervermögen von 4850 Euro stellt z.B. eine deutliche Verbesserung zum ehemaligen Freibetrag von 256 Euro in der jetzigen Sozialhilfe dar.

Die Reformen werden für eine Reihe von Menschen Verbesserungen bringen, für einige auch Einschränkungen. Bisherige Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher, insbesondere Alleinerziehende, Menschen aus schlechter bezahlten Berufen , wie Krankenschwestern, Friseure oder Verkäuferinnen, werden z.B. mit dem Arbeitslosengeld II mehr Geld haben als vorher. Außerdem werden wir mehr Anstrengungen unternehmen, sie in Arbeit zu vermitteln - und das ist das Wichtigste.

Die Bundesregierung führt die Arbeitsmarktreform durch, damit in Deutschland wieder mehr Arbeitsplätze entstehen können. Unsere Renten- und Sozialsysteme funktionieren in der jetzigen Form nicht mehr: Der demografische Wandel hat zu einem Ungleichgewicht im Renten- und Sozialsystem geführt, das von denen, die arbeiten, kaum noch zu finanzieren ist. Hier wurden Reformen über 20, 30 Jahre versäumt. Wir können aber so nicht weitermachen, denn wir würden damit zu Lasten der nachfolgenden Generationen leben - auch zu Deinen Lasten.

Du hast gefragt, warum Du als Ostkind weniger Geld bekommst als ein Westkind. Das hat nichts damit zu tun, dass Du „weniger wert“ bist, in Deutschland ist jedes Kind gleich viel wert. Das kannst Du am Kindergeld ersehen, das für Kinder gleich hoch bei 154 Euro im Monat liegt. Das Sozialgeld für Kinder richtet sich hingegen nach der Bedürftigkeit. Die Lebenshaltungskosten liegen durchschnittlich bei Kindern niedriger als bei Jugendlichen, in Ostdeutschland niedriger als in Westdeutschland. Daher die unterschiedlichen Beträge. Für ein Kind unter 14 Jahren werden im Osten 199 Euro gezahlt, im Westen 207; für Kinder über 14 Jahren gibt es 265 bzw. 276 Euro im Monat. Ein „Westkind“ ist also nicht 38 Prozent „mehr wert“ als Du. Zu Deinen anderen Fragen: Für größere außerplanmäßige Ausgaben, wie z.B. eine Klassenfahrt, kann es auf Antrag auch künftig eine einmalige Unterstützung geben.

Und was die Gesundheitsreform betrifft: Kinder und Jugendliche sind bis zum vollendeten 18. Lebensjahr von sämtlichen Zuzahlungen befreit und müssen keine Praxisgebühr zahlen. Außerdem gibt es für alle Obergrenzen für die Zuzahlungen. Diese Grenze liegt bei 2 Prozent des Bruttolohns. Dabei werden für den Ehepartner und für jedes Kind Freibeträge abgezogen. Die Zuzahlungsregelung nimmt also Rücksicht auf die Einkommens- und Familienverhältnisse.

— Renate Schmidt (SPD) ist Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

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