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Meinung: Was bedeutet Scharons Erkrankung für den Nahen Osten?

„Scharon im Koma“, „Im Ungewissen“, „Späte Weitsicht“ vom 6. Januar und „Die Angst danach“ vom 7.

„Scharon im Koma“, „Im Ungewissen“, „Späte Weitsicht“ vom 6. Januar und „Die Angst danach“ vom 7. Januar 2006

Die neuesten gesundheitlichen Rückschläge dürften das abrupte Ende der Ära Sharon bedeuten. Wegen seiner draufgängerischen und eigenwilligen Art auch Bulldozer genannt, wird Sharon mit seiner letzten politischen Entscheidung des israelischen Gaza-Rückzuges in die Geschichte eingehen. Natürlich weckt diese Situation Unsicherheit, aber ich sehe eher Chancen in dieser Entwicklung. Weder Arafat noch Sharon hatten die Visionen zu einem fairen und dauerhaften Frieden zwischen den Palästinensern und den Israelis. Dieser wird sich nur durch eine Koexistenz von zwei Staaten Israel und Palästina ergeben können. Dieser Schritt wäre mit Sharon nicht zu machen gewesen. Der Gaza-Abzug war eher ein Ablenkungsmanöver, um die israelischen Siedlungen in der Westbank zu zementieren. Die Politik nach der Ära Sharon und Arafat könnte darum ein Aufbruch weg von übermäßiger Ideologie zu mehr Pragmatismus sein. Vieles liegt im Argen, aber im Bezug auf den Nahen Osten und den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern kann es aus meiner Sicht nur besser werden.

Pascal Merz, Littau (Schweiz)

Ist es nicht natürlich, wenn ein Regierungschef schwer erkrankt, dass es Irritation im Lande gibt?

Israel ist eine Demokratie und es wird im Friedensprozess weitergehen. Israel hat einen amtierenden Premierminister, der die Regierungsgeschäfte weiterführt. Ehud Olmert ist für die Regierung und das tägliche Geschäft verantwortlich und wird schwere Entscheidungen fällen müssen. Die Regierung steht, und die Parteien bereiten sich ohnehin auf die kommenden Wahlen am 28. März vor. Es sollte nicht alles so schwarz gesehen werden. Jede Regierung, die danach kommt, hat ein sehr schweres Erbe zu bewältigen – dies wäre auch ohne die Krankheit Sharons so. Israel hat die Phase nach der Ermordung Rabins bewältigt und wird dies wieder schaffen.

Zeèv A. Rosenberg, Berlin Reinickendorf

Sehr geehrter Herr Merz, sehr geehrter Herr Rosenberg,

Was kommt nach Scharon? Sie beide bangen nun nicht um den Friedensprozess. Sie haben Recht.Israels Zukunft verlangt nach Frieden.

Es gibt Zeiten, die den Krieger brauchen, bis er sich zu dieser Erkenntnis zwingt. Überlegene militärische Stärke ist dafür der Anfang und er darf sie nicht aufgeben. So denkt Ariel Scharon. Das bleibt sein Vermächtnis: in sicheren Grenzen ohne Angst zu leben, ist die Grundbedingung, damit in einer konfliktreichen Region alle Anrainer nebeneinander existieren können. Deshalb handelte er einseitig.

Nur so kann Israel den eigenen politischen Willen selbst frei bestimmen. Lange wohl wird Israel Archipel der Demokratie sein, angefeindet und bedroht. Auch deshalb wird Europa immer an der Seite Israels stehen und seine Freiheit sichern. Das liegt im immerwährenden Interesse Deutschlands. Auf dieser unerschütterbaren Grundlage eröffnen sich neue Chancen für künftige Generationen.

Die Roadmap schließt die Tür für ein anderes Miteinander auf.

Weil sich Israelis nicht unwiderruflich von Palästinensern als regionale Nachbarn trennen können, liegt der Aufbau eines palästinensischen Staates im Interesse des jüdischen Staates Israel. Auch Palästinas Zukunft verlangt nach Frieden. Wie sonst können Chaos gebannt, wie sonst Radikalisierung eingedämmt, wie sonst demografische Gefahren begrenzt werden?

Scharon hat sich vom Krieger zum Realisten gewandelt. Seiner militärischen Größe hat er einen erstaunlichen politischen Pragmatismus hinzugefügt, lieber Pascal Merz, und das aus Einsicht. Dabei ist er der Ariel Scharon geblieben wie wir ihn kennen: umstritten und ungebeugt und manchmal voller Härte, ein „Bulldozer“ eben. Er ragt aus der Geschichte heraus wie ein Fels. Darin gleicht er Ben Gurion und Golda Meir und Jitzchak Rabin.

Es wäre ihm zu wünschen, er könnte noch erleben, was das Ziel der Gründungsmütter und Gründungsväter Israels war, dass Juden in ihrem Land dauerhaft leben.

„Für diesen Traum“, schreibt die Jerusalem Post, „ist die Zeit abgelaufen. Die Geschichte war für ihn zu langsam.“

Scharon hat versucht, die Geschichte zu beschleunigen. Und doch: dieser Traum wird wahr werden und die Welt wird sich freuen. Die Scharon nachfolgen, haben einen historischen Auftrag: die demokratische Reform der palästinensischen Gesellschaft ermutigen. Das wird den Wandel fördern, den die Region so dringend braucht. Dann hat der Frieden eine wirkliche Chance.

Mit freundlichen Grüßen

Unsere Leser Pascal Merz und Zeèv A. Rosenberg glauben, der Friedensprozess in Nahost sei

nicht gefährdet – im Gegenteil. Zu Recht, sagt

Gert Weisskirchen, Außenpolitik-Experte der SPD.

Prof. Gert Weisskirchen,

außenpolitischer Sprecher und Vorstandsmitglied der SPD-Fraktion im Bundestag

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