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Meinung: Wer Israels Politik kritisiert, ist nicht automatisch Antisemit

„Holocaust-Gedenktag / Verletzend“von Stephan-Andreas Casdorffvom 28. JanuarIch hatte am Dienstag die Gelegenheit, an der Gedenkstunde zum Holocaust-Tag im Deutschen Bundestag teilzunehmen.

„Holocaust-Gedenktag / Verletzend“

von Stephan-Andreas Casdorff

vom 28. Januar

Ich hatte am Dienstag die Gelegenheit, an der Gedenkstunde zum Holocaust-Tag im Deutschen Bundestag teilzunehmen. Mir war – als ich losging – nicht ganz verständlich, weshalb der Zentralrat der Juden in Deutschland seine Teilnahme abgesagt hatte. Am Ende der Veranstaltung aber hatte ich nur noch Hochachtung für diese Entscheidung.

Von meinem Sitzplatz auf der Besucherempore konnte ich beobachten, wie Bundespräsident, Präsident des Bundestages und Bundeskanzlerin entsprechend dem Protokoll den Raum verließen während alle Anwesenden im Saal sich erhoben hatten. So weit ein protokollarisch exakter Verlauf.

Dann aber sah ich, wie die Überlebenden, der über 95-jährige, oft geehrte Berliner Überlebende Ernst Cramer und ein anderer preisgekrönter Überlebender, Arno Lustiger, der sogar die Rede am Gedenktag vergangener Jahre gehalten hatte, die Stufen einer anderen Empore allein und ohne Begleitung hinaufgehen mussten, um dann ihren Mantel eigenständig zu holen und das Gebäude ohne offizielle Geleitung zu verlassen.

In diesem Moment wurde mir völlig einsichtig, was gemeint war, als der Zentralrat von „unwürdigem Umgang“ mit den Opfern sprach: Wenn Überlebende, von den dauernd in der Gedenkstunde die Rede ist, so behandelt werden, dann ist es würdevoll, wenn der Zentralrat der Juden in Deutschland zum Ausdruck bringt, dass er diese Verletzung nicht auch noch durch Anwesenheit sanktioniert.

Ich diesem Sinne danke ich für diesen Beitrag im Tagesspiegel

Jael Botsch-Fitterling, Jüdische Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin e.V.

Ich möchte zwei wichtige Bemerkunggen voranstellen: Ich bin kein Antisemit und verurteile die grausamen Verbrechen des NS-Regimes an Juden und anderen auf das Schärfste. Die Mitteilung des Zentralrates der Juden, an der so wichtigen und Zeichen setzenden Veranstaltung nicht teilzunehmen, halte ich für einen Skandal. Die Begründung des steigenden Antisemitismus in Deutschland leuchtet mir nicht ganz ein, da die Gedenkfeier eine gute Gelegenheit war in den Warnungen und Mahnungen nicht nachzulassen. Hier ist gfür die Juden eine gute Gelegenheit nicht genutzt worden, Flagge zu zeigen anstatt aus Protest sich in den Schmollwinkel zurückzuziehen.

Karl-Heinz Tessendorf, Berlin-Steglitz

„,Feindschaft gegen Juden nimmt zu‘ /

Zentralrat sieht Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft“ von Frank Jansen vom 27. Januar

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, behauptet im Tagesspiegel wortgewaltig, die Feindschaft gegen Juden nähme in Deutschland zu – bis in die Mitte der Gesellschaft. Aktueller Anlass dafür sei die „Hetzjagd auf Michel Friedman“, der in der ARD Israel verteidigt habe. Stimmt es denn, dass jeder, der die Politik und das militärische Vorgehen der israelischen Regierung verurteilt, ein „Feind der Juden“ ist?

Natürlich nicht – und das weiß auch Herr Kramer. Ich selbst war seit 1981 mehrmals in Israel. Seitdem kritisiere ich massiv die israelische Politik gegenüber den Palästinensern. In Jerusalem habe ich Oppositionelle getroffen, die das genauso sehen. Aber deren Stimme hört man selten im Ausland. Als Sozialkundelehrer behandele ich intensiv den Holocaust, um meinen Schülern die Achtung vor Menschen und Religion zu vermitteln. Wer mir „Feindschaft gegen Juden“ vorwirft, beleidigt mich. Aber warum?

Leider bemühen sich Menschen wie Herr Kramer nicht darum, zwischen Politik und Rassismus zu unterscheiden. Ich kritisiere Israels Politiker nicht, weil sie Juden sind, sondern weil ich ihre Politik als verbrecherisch erlebe. Das ist kein „Antisemitismus“. Es sind die Menschenrechte, an denen ich politisches und militärisches Handeln messe – ganz gleich, ob es sich dabei um die USA, die Palästinenser oder eben Israel handelt. Ich erinnere daran, wie Deutschlands Konservative die Kritik an George W. Bush als „Antiamerikanismus“ gebrandmarkt hatten. Ziel solcher Vereinfachungen ist es immer, Kritiker möglichst zum Verstummen zu bringen. Herr Kramer und der Zentralrat der Juden tun sich aber mit solch starken Vorwürfen keinen Gefallen. Wenn sie weiterhin schlichtweg alles undifferenziert befürworten, was israelische Politiker und Militärs machen, nähren sie damit genau die Vorurteile, die sie vorgeben, so vehement zu bekämpfen.

Rolf Blaga, Berlin-Wittenau

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