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Meinung: Wie kann der Staat die Geburtenrate steigern?

„Kinder als Karriereknick“ vom 13. April, „Schröder: Firmen müssen Familien helfen“ und „Noch ein Scheibchen“ vom 14.

„Kinder als Karriereknick“ vom 13. April,

„Schröder: Firmen müssen Familien helfen“

und „Noch ein Scheibchen“ vom 14. April 2005

1959, als ich Abitur machte, war Frankreich das Schlusslicht bei der (west-)europäischen Geburtenrate, und der Staat unternahm dort große Anstrengungen, das zu ändern. In den 70er Jahren kritisierten die Familienpolitiker in der Berliner Senatsverwaltung an Frankreich, dass sie dort glaubten, mit finanziellen Anreizen die Geburtenrate steigern zu können. Diese Kritik galt auch dem 1961 eingeführten Berliner Familiengründungsdarlehen, das durch Geburten „abgekindert“ werden konnte.

Dieses Darlehen hatte in der Tat offenbar wenig Einfluss auf die Geburtenraten; ihr irritierendes Auf und Ab hing mehr von den jeweiligen Jahrgangsstärken der Elterngeneration ab, die ja nicht beeinflussbar waren. Wegen der Auswirkungen auf Weg- und Zuzüge zur Insel West-Berlin wurde es jedoch beibehalten.

Hinter vorgehaltener Hand wurden eher die Maßnahmen der DDR gelobt, die durch Wohnungs- und Studienplatzzuweisungen, kostenlose Kinderbetreuung und Arbeitserleichterungen für die Mütter die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Eltern erleichterte und insbesondere den Müttern den Verbleib in der Arbeitswelt ermöglichte.

Ich vermute, dass die Franzosen, die es ja nun nach vierzig Jahren überzeugend geschafft haben, einen Lernprozess durchgemacht haben, welche Maßnahmen sich als die entscheidenden erwiesen haben. Wenn ich heute im Ministerium säße – hätte ich nicht das Gefühl, dass mir das „Abschreiben“ noch nie so „kinderleicht“ gemacht worden wäre?

Ulrich Waack, Berlin-Lichtenrade

Sehr geehrter Herr Waack,

zur Erhöhung der Geburtenrate schlägt die Bundesregierung jetzt die Einführung eines Elterngeldes vor. Das ist reine Ankündigungspolitik.

Eine Umsetzung soll frühestens nach der Bundestagswahl erfolgen – vorausgesetzt, dass dann wieder mehr Geld in den Kassen ist. Der Vorschlag ist überaus vage. Die Bundesregierung hat noch keine Vorstellung, wie sie das Elterngeld ausgestalten und finanzieren will.

Vor allem gut ausgebildete und gut verdienende Paare verzichten auf Kinder. Mehr Geld heißt nicht automatisch mehr Kinder. Darauf weisen Bevölkerungswissenschaftler hin, und das zeigt die Realität. Deutschland gibt nach dem Sozialbericht 2002 rund 101 Milliarden Euro für familienpolitische Leistungen aus. Damit liegen wir im Ländervergleich im vorderen Bereich. Mit einer Geburtenrate von 1,3 Kindern gehören wir in Europa aber zu den Schlusslichtern. Finanzielle Förderung von Familien und Steigerung der Geburtenrate hängen also nicht ursächlich zusammen.

Nun soll nach dem Willen der Familienministerin Schweden als Vorbild dienen, das als Paradebeispiel für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt. Aber auch dort ist die Geburtenrate von 2,1 Kindern im Jahr 1990 auf inzwischen 1,3 Kinder drastisch gesunken. Offensichtlich ist es ein Trugschluss, das Elterngeld könne die demografische Entwicklung beeinflussen.

Hohe Fehlinvestitionen und falsche Weichenstellungen dürfen nicht von der Lösung der eigentlichen Probleme ablenken. Damit sich junge Paare wieder für ein Kind entscheiden, bedarf es konkreter Maßnahmen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Hier ist Frankreich Vorreiter. Vorrang muss auch bei uns der Ausbau der Kinderbetreuung haben. In allen Einrichtungen müssen die Öffnungszeiten flexibler werden und sich den Arbeitszeiten der Eltern anpassen. Mehr Ganztagsplätze und individuelle Tagesmütterangebote sind erforderlich.

Eine familienfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt ist überfällig. Mit Arbeitszeitkonten, Telearbeit und flexiblen Arbeitszeiten muss den Eltern die Möglichkeit gegeben werden, Kinder und Beruf besser miteinander zu vereinbaren. Um nach der Elternzeit die Rückkehr ins Berufsleben zu erleichtern, sind Fortbildungsveranstaltungen und das Kontakthalten zum Beruf während der Elternzeit unerlässlich. Das nützt nicht nur den Familien, sondern zahlt sich auch für die Arbeitgeber aus.

Natürlich brauchen wir auch zukünftig die finanzielle Unterstützung von Familien. Der beste Weg ist ein familienfreundliches Steuersystem, damit Eltern mehr von ihrem selbst erwirtschafteten Einkommen in der Tasche bleibt. Denn Kinder kosten Geld! Wir brauchen auch eine Familienkasse, ähnlich wie in Frankreich, in der alle Leistungen für Familien gebündelt werden.

Wir brauchen nicht nur einen Wechsel in der Familienpolitik. Notwendig ist ein Wandel in der Einstellung: Kinder müssen wieder willkommen sein!

Mit freundlichen Grüßen

— Prof. Dr. Maria Böhmer, Mitglied des Deutschen Bundestages, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzende der Frauen Union.

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