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Meinung: Wie verdrossen ist das Wahlvolk?

„Mehrheit gegen Stoiber – Politbarometer: Union bleibt trotzdem vorn“ vom 20. August 2005 In der heutigen politischen Situation, die u.

„Mehrheit gegen Stoiber – Politbarometer: Union bleibt trotzdem vorn“ vom 20. August 2005

In der heutigen politischen Situation, die u.a. durch unzählige Arbeitslose, Schulden und mangelnde Binnennachfrage geprägt ist, geht viel Vertrauen in die Regierungsfähigkeit von Parteien verloren.

Die Bevölkerung ist häufig ratlos und verunsichert. Der Wahlkampf der Parteien wird zum Spekulationsgeschäft und Parteien werben für ihre Politik mit Plakaten von freundlich lächelnden Kandidaten, um SympathieStimmen zu erhalten.

Jeder behauptet, dass er es schafft, doch keinem ist es bislang gelungen, die Arbeitslosenzahlen signifikant zu senken oder die Staatsverschuldung abzubauen. Was wäre denn, wenn es keiner Partei gelingen würde, langfristig Deutschland wieder hochzuziehen? So könnte der erste Eindruck von der heutigen Politik aussehen. Wenn man jedoch genauer hinschaut, erkennt man, dass Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und Konsumflaute nicht von heute auf morgen wegzuschaffen sind. Wir brauchen den Mut, an neuen Reformen festzuhalten und sie nicht zu verwerfen, bevor sie wirken und ihre Stärken und Schwächen zeigen. Nur so kann die heutige Politik wieder Vertrauen bei der Bevölkerung finden. Um hier einen Ausweg zu finden und um die Demokratie nicht weiter auszuhöhlen, braucht es seitens der Bürger politisches Interesse und politische Bildung und seitens der Parteien Seriösität und Vertrauenswürdigkeit! Sonst spiegelt sich dieses Verhalten der Parteien in einem Wahlverdruss der Bürger wieder. Dann verlieren Wahlen ihren Sinn und können unter demokratischen Gesichtspunkten nicht mehr als repräsentative Meinung der Bevölkerung angesehen werden!

Georg Girke, Berlin-Zehlendorf

Sehr geehrter Herr Girke,

mit Ihren Sorgen stehen Sie nicht alleine da, das belegen unsere demoskopischen Befunde. Der Grund für diese Erosion des Vertrauens ist schnell auszumachen: Sowohl die Regierung Kohl wie auch Schröders rot-grüne Koalition haben Hoffnungen geweckt, die sich nicht erfüllten und nicht nur von Ihnen rückblickend als „hohle Versprechungen“ kritisiert werden. Der eine versprach „blühende Landschaften“ schon kurz nach der ersehnten Vereinigung, der andere eine deutliche Reduzierung der Arbeitslosenzahl. Die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeitslosenzahlen überschatten nicht nur die durchaus beachtlichen Leistungen beider Regierungen, sie unterminierten auch das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der Politik. Wie Umfragen belegen, ist in den letzten Jahren das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Parteien kontinuierlich gesunken. Die Zahl der Bürger, die keiner Partei mehr zutrauen, die Zukunftsaufgaben zu bewältigen, überstieg zuletzt sogar die Zahl derer, die hier auf die eine oder die andere Volkspartei setzen. Speziell bei der Arbeitsmarktpolitik ist eine gewisse Ernüchterung, man könnte auch sagen Realismus eingekehrt. Die Einflussmöglichkeiten der Politik auf den Arbeitsmarkt werden eher gering eingeschätzt, der Abbau von Arbeitslosigkeit wird als eine langwierige Aufgabe begriffen.

Die Grundstimmung vor der anstehenden Wahl spiegelt diese Entwicklung wieder: Die Unzufriedenheit mit der rot-grünen Bundesregierung ist groß, die Hoffnung, dass es eine unionsgeführte Regierung besser machen würde, aber gering. Es herrscht eine gewisse Wechselbereitschaft, aber ohne klar präferiertes Ziel. Der mehrheitliche Zuspruch für eine große Koalition ist nicht gerade Ausdruck für die von den politischen Lagern postulierte Richtungswahl. Eher spiegelt sich darin der auch von Ihnen geäußerte Wunsch nach einer „konstruktiven“ und nicht konfrontativen Politik wieder.

Das Zurückschrauben der Erwartungen an die Politik veranlasste aber nur eine Minderheit der Bevölkerung, auf ein Ende der Reformanstrengungen zu drängen. Und es führte auch nicht zu Resignation oder zu einer Abwendung von der Politik. Das Interesse an politischen Vorgängen ist heute im Vergleich zu früheren Epochen höher, auch und gerade in Zeiten wachsender Kritik an Regierung und Opposition. Die anstehende Bundestagswahl ist seit Wochen das Thema, das die Deutschen am meisten beschäftigt, mehr als der Papstbesuch und die Wettereskapaden. Die einschlägigen Berichte zur Bundestagswahl und von Medien und Parteien bereitgestellten interaktiven Informationsangebote werden in hohem Maße wahrgenommen, was auf eine rege Wahlbeteiligung hoffen lässt.

Jedenfalls gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die im internationalen Maßstab erfreulich hohe Wahlbeteiligung bei dieser Bundestagswahl – ungeachtet aller Kritik an den Parteien – drastisch absinken könnte. Auch die Wahl am 18. September wird deshalb das Meinungsbild der Bevölkerung „repräsentativ“ wiedergeben, die künftige Regierung wird sich auf eine ausreichende Legitimation durch den Souverän berufen können.

Mit freundlichen Grüßen

— Richard Hilmer, Geschäftsführer des Wahlforschungsinstitutes Infratest dimap.

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