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Meinung: Wird Deutschland ein Land der Armen?

„Arm und Reich - Deutsche besorgt“ vom 27. Dezember Wenn heute Arm und Reich zur bitteren Realität geworden ist, dann auch deshalb, weil die Einkommen - besonders der unteren Einkommensschichten – den Preisen in sehr vielen Konsumbereichen nicht mehr standhalten können.

„Arm und Reich - Deutsche besorgt“

vom 27. Dezember

Wenn heute Arm und Reich zur bitteren Realität geworden ist, dann auch deshalb, weil die Einkommen - besonders der unteren Einkommensschichten – den Preisen in sehr vielen Konsumbereichen nicht mehr standhalten können. Wer vor der Währungsumstellung 1500 DM netto verdiente oder als Rentner bekam, konnte sein Leben noch bezahlen, was heute mit 750 Euro zu einem Balanceakt geworden ist.

Es gibt seit Jahren keine gefühlte Verteuerung, sondern eine ganz konkrete, jeden Tag erlebbar für Menschen, die an der unteren Skala unserer Einkommenswelten existieren müssen. Der Staat versucht, dies für die Armen und wenig Verdienenden mit Zuschüssen zu begleiten, was der Quadratur des Kreises gleichkommt, wenn man die steigenden Belastungen der Haushalte mit den zu erwartenden Energiekosten betrachtet.

Nun erzählen uns die Chefvolkswirte der Banken, die klugen Teilnehmer der Talkshows, wozu auch Politiker gehören, das sei alles gar nicht so schlimm, schließlich gäbe es in jeder Gesellschaft Einkommensunterschiede; das ständige Gejammer müsse aufhören.

An wen werden sich die am Rande lebenden Menschen, die immer mehr werden, wenden, wenn die Schere weiter auseinandergeht, ihre Lebensqualität sinkt, sie trotz ihrer Tätigkeit und den Zuschüssen nicht mehr richtig am Leben in dieser Gesellschaft teilnehmen können? Unsere gut ausgestatteten Volksvertreter? Ich fürchte, vor allem nicht an jene, die griffige Formeln und patente Ratschläge für ein Leben parat haben, das sie nicht betrifft, von dessen Einkommensrealität sie keine Ahnung haben. Nein, sie werden sich in ihrer Verzweiflung schillernden Populisten und hasserfüllten Demokratiefeinden zuwenden, die ihre Stunde gekommen sehen. Muss es wirklich so weit kommen?

Conrad Maria Mullenarque,

Berlin-Charlottenburg

Sehr geehrter Herr Mullenarque,

nicht nur die Armut breitet sich – wie Sie richtig feststellen, auch wegen steigender Preise bei tendenziell sinkenden Löhnen und gleichbleibenden Sozialleistungen – bis in die Mitte der Gesellschaft aus, sondern gleichzeitig wächst auch der private Reichtum, wodurch sich das Land sozial immer mehr spaltet. Auf dem Höhepunkt des Konjunkturaufschwungs, im Frühjahr 2007, lebten fast 1,93 Millionen Kinder unter 15 Jahren (von 11,44 Millionen dieses Alters insgesamt) nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in Hartz-IV-Haushalten, während das Privatvermögen der beiden reichsten Deutschen, der Gebrüder Albrecht (Eigentümer der Aldi-Ketten Nord und Süd), laut „Manager-Magazin“ 37,5 Milliarden Euro beträgt. Dies ist mehr als 100 Millionen Mal so viel, wie ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger im Monat erhält. Verschärft wird das Problem der sozialen Spaltung durch regionale Disparitäten (Ost-West- und Nord-Süd-Gefälle). So lebten in Görlitz 44,1 Prozent aller Kinder unter 15 Jahren in Hartz-IV-Haushalten, während es im bayerischen Starnberg nur 3,9 Prozent waren.

Ohne die Lage zu dramatisieren, kann man prognostizieren, dass es in der Bundesrepublik, die nach wie vor zu den reichsten Industrienationen der Welt gehört, künftig noch mehr (Kinder-)Armut geben wird. Dies gilt hauptsächlich für Ostdeutschland, wo sich der Um- beziehungsweise Abbau des Sozialstaates noch drastischer auswirkt als in Westdeutschland, weil die dortigen Familien stärker auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Nur wenn eine Kurskorrektur auf mehreren Politikfeldern (Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, Sozial- und Familienpolitik, Steuer- und Finanzpolitik sowie Wohnungsbau- und Stadtentwicklungspolitik) erfolgt, kann die Regierungspolitik den Trend zur sozialen Ausgrenzung eines wachsenden Bevölkerungsteils umkehren. Dies wäre dringend nötig, um eine Beschädigung der Demokratie durch die Apathie vom sozialen Abstieg bedrohter Menschen und den Rückzug der Armen zu vermeiden.

Statt die Armut zu bekämpfen, beruhigt man sich, indem Armut nicht als gesellschaftliches Problem, sondern als selbstverschuldetes Schicksal begriffen wird. Armut stellt jedoch keine gerechte Strafe für Leistungsverweigerung oder die Unfähigkeit dar, sich beziehungsweise seine Arbeitskraft auf dem Markt mit ausreichendem Erlös zu verkaufen, so wenig der Reichtum als angemessene Belohnung für eine Leistung gelten kann. Denn diese besteht oft ganz schlicht darin, den Tipp eines guten Anlageberaters zu befolgen. Wer über die Oberschicht und ihre Tendenz, sich der finanziellen Verantwortung für das Gemeinwesen durch Steuerflucht mittels Umzug zum Beispiel nach Monaco Österreich oder in die Schweiz zu entziehen, nicht sprechen will, sollte auch über die Unterschicht schweigen.

Mit freundlichen Grüßen

— Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Leiter der Abteilung Politikwissenschaft, Universität zu Köln

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