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Meinung: Wissen Europas Bürger zu wenig über die EU?

Zur Ablehnung des EU-Vertrages von Lissabon durch Irlands Bevölkerung Schon interessant: Immer dann, wenn der EU-Vertrag nicht einfach durch die politischen Gremien durchgewinkt wird, und stattdessen die Bürger über den Vertrag diskutieren und abstimmen dürfen, wird er mit Mehrheit abgelehnt. Hand aufs Herz: Wer von uns gewöhnlichen Staatsbürgern weiß, was in dem Vertrag von Lissabon steht, den das Parlament gerade durchgewinkt hat?

Zur Ablehnung des EU-Vertrages von Lissabon

durch Irlands Bevölkerung

Schon interessant: Immer dann, wenn der EU-Vertrag nicht einfach durch die politischen Gremien durchgewinkt wird, und stattdessen die Bürger über den Vertrag diskutieren und abstimmen dürfen, wird er mit Mehrheit abgelehnt. Hand aufs Herz: Wer von uns gewöhnlichen Staatsbürgern weiß, was in dem Vertrag von Lissabon steht, den das Parlament gerade durchgewinkt hat? Hat es vielleicht System, etwas so kompliziert zu formulieren, dass es den meisten zu kompliziert ist, sich damit zu beschäftigen? Da kommt auch schon einmal einer ins Grübeln, der ganz glücklich ist, dass seit Gründung von EWG, EG und EU seit Jahrzehnten Frieden unter den Staaten der EU herrscht.

Dr. Georg Nagele, Hannover

Irlands Nein zum EU-Vertrag sollte allen Politikern zu denken geben. Es geht bei einer derart weitreichenden Entscheidung schon lange nicht mehr darum, ob die Regierung eines Landes dazu berechtigt ist, über die Köpfe der Bürger hinweg Entscheidungen zu treffen. Es geht um mehr Information, und es geht auch um mehr Mitbestimmung. Welche Informationen haben denn die Bundesbürger über den EU-Vertrag erhalten? Man sagt, wer was wissen will, soll sich gefälligst selbst erkundigen! Nur wer liest denn schon einen Vertrag mit über 300 Seiten durch. Und wenn er es tut – wer versteht ihn? Wir sollten uns nichts vormachen. Irland ist kein Einzelfall.

Uwe Hennig, Berlin-Gesundbrunnen

Sehr geehrter Herr Nagele,

Sehr geehrter Herr Hennig,

„Irlands Nein zum EU-Vertrag“, schreibt Herr Hennig, „sollte allen Politikern zu denken geben.“ Richtig, wir alle müssen darüber nachdenken, wie wir die Stolpersteine auf dem gemeinsamen Weg in die europäische Zukunft wegräumen. Aus beiden Leserbriefen spricht die Sorge, dass die Bürger zu wenig wissen über Europa, um mitzureden und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Zugegeben, der Vertrag von Lissabon ist umfangreich und kompliziert, doch das Kernanliegen ist leicht zu verstehen. Die meisten Bürger wissen, dass wir wirksames politisches Handeln in Europa brauchen, um in Zeiten der Globalisierung unsere Werte und Interessen in der Welt zu vertreten. Als Beispiele nenne ich Klimaschutz und gemeinsame Energiepolitik. Zugleich gibt es immer wieder verbreitete Vorbehalte gegenüber den EU-Institutionen und einen entsprechend großen Reformbedarf. Der Vertrag von Lissabon – diese Errungenschaft wird leider von vielen übersehen – wird Europa den Bürgern wieder näher bringen. Er ist die Antwort auf die von Bürgerinnen und Bürgern zu Recht kritisierten Defizite der Europäischen Union. Das lässt sich mit drei kritischen Fragen auf den Punkt bringen:

1. Wie steht es mit Demokratie und aktiver Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene? Europa wagt mehr Demokratie. Das Europäische Parlament erhält mehr Entscheidungsrechte, auch die nationalen Parlamente haben mehr zu sagen. Ein neues Element demokratischer Teilhabe ist das europäische Bürgerbegehren, es wird Europa öffnen für Initiativen aus der Gesellschaft.

2. Ist die größer gewordene Europäische Union überhaupt noch handlungsfähig? Der Vertrag von Lissabon weitet das Mehrheitsprinzip erheblich aus, Europa gewinnt damit an Gestaltungskraft. Zusätzliche Schubkraft wird die europäische Einigung durch die Charta der Grundrechte erhalten. Die gemeinsamen Werte sind die Grundlage für das gemeinsame Handeln.

3. Ist die Europäische Union inzwischen undurchschaubar und deshalb Misstrauen angebracht? Heute ist es schwer zu durchschauen, wer für was zuständig und verantwortlich ist. Der Vertrag von Lissabon wird die Kompetenzen klar verteilen. Das ermöglicht den Aufbau von Vertrauen gegenüber Institutionen und verantwortlichen Personen.

Herr Nagele vermutet in seinem Leserbrief, manches sei im Vertrag bewusst kompliziert formuliert, um die meisten auszugrenzen und Entscheidungen leichter über die Köpfe hinweg treffen zu können. Ich bin ein Freund möglichst verständlicher Regelungen und einer klaren Sprache. Auch mir wäre ein „großer Wurf“ in klarer und verständlicher Sprache lieber gewesen, das Schicksal der europäischen Verfassung ist Ihnen bekannt.

Um alle vielfältigen Interessen unter einen Hut zu bringen, sind jedoch Zugeständnisse und Ausnahmen unvermeidlich. Meistens lobe ich Kompromisse, doch kenne ich auch ihren Preis: nämlich die Komplizierung der Materie. Deswegen ist es so wichtig, dass auch die Regierungen der Mitgliedstaaten den Bürgern in ihren Ländern die europapolitischen Beschlüsse gut und fair erklären. Es muss Schluss sein mit der Praxis, dass politisch Verantwortliche in den Mitgliedstaaten für die guten Nachrichten verantwortlich sind und „Brüssel“ der Schwarze Peter für Fehlentwicklungen zugeschoben wird.

Ihre Leserbriefe sind ein Ansporn für alle, die Europapolitik gestalten, mit den Bürgerinnen und Bürgern noch stärker ins Gespräch zu kommen. Das gilt vor allem im Vorfeld der Europawahl 2009.

Mit freundlichen Grüßen

— Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering (CDU),

Präsident des Europäischen Parlaments.

Eine gut verständliche Zusammenfassung des Vertrags von Lissabon findet sich in der Broschüre „Europa 2008 – Wissen-Verstehen-Mitreden“. Kostenlos zu bestellen über www.europarl.de/service oder telefonisch unter 030-22801000.

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