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Meinung: Wollen Männer keine Kinder?

Zur Berichterstattung über die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland Warum „die Frauen in Deutschland heutzutage keine Kinder mehr wollen“, ist häufiges und beliebtes Thema zahlreicher Untersuchungen und entsprechender Berichterstattung. Äußerst selten finde ich etwas dazu, warum Männer in Deutschland heutzutage keine Kinder mehr wollen.

Zur Berichterstattung über die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland

Warum „die Frauen in Deutschland heutzutage keine Kinder mehr wollen“, ist häufiges und beliebtes Thema zahlreicher Untersuchungen und entsprechender Berichterstattung. Äußerst selten finde ich etwas dazu, warum Männer in Deutschland heutzutage keine Kinder mehr wollen. Als Beschützer und Förderer ihrer Nachkommen, als verantwortliche Väter, die ihre Kinder bejahen, sie fördern und bereit sind, sie dauerhaft zu tragen, melden sich die Männer (als gesellschaftlich relevante Gruppe) nicht zu Wort. Allenfalls gibt es einzelne Betroffenheitsäußerungen von Vätern, die ihre Kinder erziehen wollen, aber nicht dürfen, oder die ihre Kinder nicht sehen wollen, aber müssen, mit anderen Worten: von Vätern, die sich als „Opfer“ der Machenschaften von Frauen fühlen. Wo ist deren Verantwortung?

Und die Öffentlichkeit fragt die verantwortliche Vaterschaft nicht einmal nach. Es sind die Frauen, denen Geburtenrückgänge angehangen werden. Dabei gibt es allein in meinem näheren Bekanntenkreis neun Kinder, die nicht zur Welt gekommen wären, wäre es nach dem Willen ihrer Väter gegangen. Von den zahllosen Schwangerschaftsabbrüchen, die direkt oder indirekt auf das Insistieren der Männer zurückgehen, ganz zu schweigen. Mutterschaft ist in vielen, vielen Fällen ein sehr einsames Geschäft geworden. Es sei denn, die Mütter arrangieren sich mit „Vätern auf Zeit“, die für sich das Recht in Anspruch nehmen, zu gehen, wenn es zu nervig wird. Allzu viele Gedanken an die betroffenen Kinder werden nicht verschwendet.

Es geht mir keineswegs darum, den Männern nunmehr so etwas wie „die Schuld“ zuzuschieben. Wir alle verantworten gemeinsam die Gesellschaft, in der wir leben. Aber das dürftige Engagement der Männer zur Frage dauerhaft verantwortlicher Vaterschaft einerseits, das Ausbleiben von Fragen zum Thema „Wahrnehmung von Vaterschaft“ andererseits, beunruhigt und verärgert mich zunehmend.

Gabriele Schulte-Sasse, Berlin-Schöneberg

Sehr geehrte Frau Sasse,

die meisten aktuellen demografischen Studien diskutieren den Wandel des Geburtsverhaltens von Frauen, wie die gerade publizierte Studie des Statistischen Bundesamtes, ohne die Bedeutung der Männer für die demografische Entwicklung zu berücksichtigen. Dabei ist bekannt, dass die Entscheidung für Kinder erst dann getroffen wird, wenn das Paar gemeinsam für sich selbst und ein gemeinsames Kind eine Zukunft sieht.

Junge Männer wünschen sich weniger Kinder als junge Frauen, und ihre Wunschvorstellungen decken sich gut mit den realisierten Kinderzahlen. Die steigende Kinderlosigkeit wird aber einseitig als ein Problem von Frauen interpretiert unter Bezug auf die Akademikerinnen, obwohl die Zahl der männlichen Akademiker im Alter von 40 bis 44 Jahren, die ohne Kinder leben, mit etwa 36 Prozent die 28 Prozent der Frauen in diesem Alter übertreffen und auch stärker gestiegen ist. In den Großstädten Berlin und Hamburg erreicht die Kinderlosigkeit dieser Männergruppe fast 60 Prozent. Man könnte über solche Zahlen hinweggehen, aber in vielen neuen Berufsgruppen, etwa in der IT-Industrie oder sehr einflussreichen Berufsgruppen wie den Medien, gibt es besonders viele kinderlose Männer. Diese haben einen erheblichen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung der Männer- und Väterrollen. Ich kann Ihnen nur zustimmen, dass die Bedeutung der Männer für die demografische Entwicklung in der modernen Gesellschaft und auch ihre Rolle als fürsorgliche Väter in unserer Gesellschaft heute selten thematisiert wird und im Gegenteil die Väter häufig nur als „Opfer“ dargestellt werden.

Bei der Einführung des Elterngeldes und der damit verbundenen Vätermonate sprachen Politiker vom „Wickelvolontariat“ und brachten damit ihre Verachtung einer modernen Vaterrolle zum Ausdruck. Neben gesetzlichen Maßnahmen wie den Vätermonaten geht es in der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien darum, einen Mentalitätswandel zu erreichen, der die Rolle des fürsorglichen Vaters als eine gesellschaftlich positive Rolle interpretiert.

Berlin ist zu Recht stolz darauf, dass viele junge Frauen und junge Männer in diese Stadt kommen und ihr durch ihr Engagement eine hohe Vitalität und Attraktivität verleihen, um die andere Städte Berlin beneiden können. Es ist jedoch zu fragen, ob die Arbeitsbedingungen und die beruflichen Entwicklungschancen hier so gestaltet sind, dass diese jungen Leute der Stadt nicht nur ihre Vitalität und ihre Ideen schenken, sondern dass es in dieser Stadt auch attraktiv und spannend sein kann, sich für Partnerschaft und für Kinder zu entscheiden. Dann muss aber zur Kenntnis genommen werden, dass viele dieser jungen Leute, selbst mit einer qualifizierten Ausbildung, mit kurzfristiger Projektarbeit ohne längere Perspektive sehen müssen, wie sie ihre eigene Existenz einigermaßen sichern können. Das mag für die Vitalität der Entwicklung kultureller und ökonomischer Bereiche möglicherweise sogar richtig sein, aber eine gute Voraussetzung, sich mit einer Partnerin auf eine gemeinsame Lebensperspektive mit einem Kind einzulassen, ist das nicht.

Ohne eine öffentliche Diskussion über die positive Bedeutung des Vaters für die Entwicklung von Kindern, ohne die Akzeptanz der Arbeitswelt, dass Kinder in bestimmten Lebensphasen für Männer wie für Frauen genauso wichtig sein können wie der Beruf und ohne sichere Zukunftsperspektiven für die nachwachsende Generation werden wir uns aber darauf einstellen müssen, dass auch in Zukunft kaum über die Rolle des Mannes und des Vaters gesprochen wird.

Mit freundlichen Grüßen

— Prof. Dr. Hans Bertram, Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin

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