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Leserdebatte: Wir wollen doch nur spielen

Alle Jahre wieder: Mit EM und WM kehrt sie immer wieder zurück, die Diskussion, ob wir Fahnen schwenken dürfen oder nicht. Die einen sind genervt, die anderen finden es in Ordnung. Sicher, schön sind die schwarz-rot-goldenen Fan-Artikel nicht - aber viel mehr kann man ihnen auch nicht vorwerfen, meint unsere Autorin.

Es ist Fußball-EM. Wir dürfen ausgelassen sein. Wir dürfen uns feiern. Wir dürfen ganz uneingeschränkt stolz auf „unsere Jungs“ sein. Dann malen wir uns Deutschland-Fahnen auf die Wangen, ziehen unseren Autos Seitenspiegel-Kondome über (die heißen wirklich so) und klemmen kleine Fähnchen in die Autotür. Die Hertha-BSC-Wimpel werden abgerupft – die sind ja eh abgestiegen – und stattdessen schwarz-rot-goldene Flaggen aufgehängt. Denn in diesem Sommer dürfen auch Hertha-BSC-Fans einen Monat lang vom Titel träumen. Und wer zum Public Viewing geht und sich eine Deutschland-Fahne um die Schulter hängt, der kann sich ganz kurz wie ein Superheld mit Cape fühlen, ob Gomez nun trifft oder nicht.

Gleichzeitig brandet mit ebensolcher Regelmäßigkeit alle zwei Jahre dieselbe Diskussion auf: Dürfen wir Deutsche unsere Fahne herzeigen? Es mal ganz kurz nicht schlimm finden, dass wir deutsch sind, sondern uns kollektiv an diesem Ereignis erfreuen? Uns an einem Turnier berauschen, so heftig, wie sich ganz Europa darin ergeht?

Ich meine: Ja. Eine Fußball-EM ist ein großes Spiel. Im Zentrum steht ein rollender Ball, der ganze Nationen in kollektive Verzückung versetzt. Auch uns. Die Nationalfarben, die wir zur Schau stellen, sind Teil dieser gemeinsamen europäischen Inszenierung.

Bildergalerie: Berlin im EM-Fieber

Wir schlüpfen in eine Rolle, gehen gemeinsam in diesem Ereignis auf. Unsere Nationalfarben auf Wangen und T-Shirts sind kein Rückfall in einen gefährlichen Nationalismus – sie sind Teil des Spieles. Sich seiner Geschichte bewusst zu sein, heißt nicht, seine Nationalität zu verleugnen. Bei einer EM ist sie identitätsstiftend und somit eine wichtige Zutat, eine EM würde ohne eine nationale Zuordnung gar nicht funktionieren. Es ist ein Miteinander und gleichzeitig ein Gegeneinander, das wir durch unsere Landesgrenzen definieren. Ein spielerischer Kampf zwischen den Nationen, den wir auf dem Platz austragen.

Das Schwenken einer deutschen Fahne muss nicht notwendig Ausdruck einer übersteigerten Vaterlandsliebe sein. Es kann auch einfach das Zeichen sein: Seht her, ich bin Teil des Spieles und ich habe Freude daran! Warum sonst verschwinden die Fahnen mit Abpfiff des Finales genauso schnell wieder aus dem Stadtbild?

Sicher, es gibt auch die Deutschen, die sich im Stadion von ihren Sitzen erheben, beide Arme in die Höhe recken und „Sieg!“ brüllen. Das ist für das Spiel nicht notwendig, das ist einfach nur erschreckend ignorant. Wer nur einen Funken Verstand im Kopf hat, dem sollte das Schauer über den Rücken jagen.

Meiner Meinung nach gibt es aber nur einen Grund, etwas gegen all die schwarz-rot-goldenen Devotionalien zu haben. Wir brauchen den Menschen keine falsche politische Gesinnung zu unterstellen, sie beweisen mit ihrem Aufzug höchstens eines: Ihre schiere Geschmacklosigkeit. Schön sind die Fanartikel äußerst selten, sie rangieren in aller Regel irgendwo zwischen hässlich und peinlich. Aber wer so eitel nicht ist, der darf sie zur EM tragen – wie tausend andere auch. Der darf sich in diesem kollektiven Spiel engagieren, vielleicht auch ein bisschen Fußball mit Fasching verwechseln - und sich bedingungslos am rollenden Ball erfreuen. Mit Flagge um die Schultern oder ohne.

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