zum Hauptinhalt
Wie groß ist die Wahlmüdigkeit der Berliner?

© dpa

Leserkommentar: Berliner Wahlkampf: Viel Lärm um nichts?

Tagesspiegel-Leser Hans Merkens kritisiert den Berliner Wahlkampf. Er sieht zwar einen bunten Strauß aus Themen, vermisst aber eine echte Debatte um die Zukunft der Stadt.

Der Wahlkampf zu den Wahlen am 18.9.2011 in Berlin wird von Langeweile dominiert. Die Politiker bemühen sich anscheinend darum, keine brisanten Themen anzusprechen. Vielleicht will man sich Optionen für Koalitionen nach der Wahl nicht verderben. Dieser Eindruck wird durch die Wahlwerbung bestärkt. Auf der einen Seite steht die SPD mit dem Regierenden Bürgermeister Wowereit an der Spitze, der auf Plakaten und auch bei sonstigen Auftritten einen selbstgefälligen und selbstzufriedenen Eindruck vermittelt. Vor allem vermeidet er Aussagen darüber, welche Kernziele er für die nächsten Jahre in der Berliner Politik verfolgen will. Ihm gegenüber stand lange Zeit Frau Künast von den Grünen als Herausforderin, die die Wähler auf Plakaten wissen lässt, dass sie arbeitet. Abgesehen davon, dass das eine Erwartung ist, die man an jeden Kandidaten haben kann, werden aber auch hier klare Zielsetzungen und Aussagen dazu vermisst, welche Themen sie mit welcher Priorität in der Regierung bearbeiten will. Vielmehr wird ein bunter Strauß von Themen angeboten. Darin spiegelt sich ähnlich wie bei der SPD ein gewisses Maß an Beliebigkeit wieder. Der dritte Kandidat einer großen Partei, Herr Henkel von der CDU, vermittelt vor allem den Eindruck der Blässe. Die CDU nennt zwar Ziele, aber diese wirken auch nicht durchschlagend. Bei ihr wie bei den anderen Parteien vermisst der Wähler vor allem Prioritäten. Es wird nicht ersichtlich, in welcher Reihenfolge die möglichen Ziele verfolgt werden sollen. Für die Linke tritt Herr Wolf an, der ein ehrliches Bemühen darum zeigt, den Wählern zu versichern, wie erfolgreich seine Partei in der Regierungskoalition mitgearbeitet hat und dass sie das gerne fortsetzen möchte. Die FDP wiederum versucht alle möglichen Themen zu besetzen, wenn man den Plakaten traut, lässt aber auch kein eigentliches Kernthema erkennen. Diese Situation berührt deshalb so merkwürdig und ist zugleich auch so erschreckend, weil Themen, die in den nächsten Jahren bestimmend sein werden, auf der Hand liegen und sich im Prinzip aufdrängen.

Die brennenden Autos symbolisieren, dass es in Berlin noch immer erhebliche soziale Spannungen gibt, die dringend einer Lösung bedürfen. Hier verhalten sich alle großen Parteien abstinent. Dabei ist die hohe Arbeitslosenquote in Berlin eines der offensichtlichen Probleme. Das einfache Versprechen, Arbeitsplätze schaffen zu wollen, reicht schon lange nicht mehr aus. Wähler erwarten konkretere Vorschläge, wie das durch Subventionen oder andere Maßnahmen gefördert werden soll.

Im Wahlkampf mangelt es an Ansätzen, neue Lösungen zu propagieren, zum Beispiel in der Integrationspolitik. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Die Integrationsprobleme sind keineswegs gelöst. Sie werden gegenwärtig auch zwischen anderen Gruppierungen der Gesellschaft als den Migranten und der einheimischen Bevölkerung auf dem Wohnungsmarkt sichtbar. Wenn alle Parteien nunmehr versprechen, den Wohnungsbau zu fördern, ist das löblich. Dann müsste allerdings auch vermittelt werden, welche anderen Schwerpunkte nicht mehr weiter verfolgt werden sollen. Berlin bietet mit seiner multikulturellen Bevölkerung mögliche Ansatzpunkte für eine beispielgebende Integrationspolitik. Im Wahlkampf mangelt es an Ansätzen, neue Lösungen zu propagieren.

In den Schulen wird zwar restrukturiert aber es gibt kein Konzept für eine notwendige stetige Entwicklung der Schulen und der Unterrichtsqualität. Es mangelt vor allem an einer Weiterbildung der Lehrkräfte, bevor umstrukturiert wird. Die Bildungspolitik der bisherigen Regierung ist von Aktionismus geprägt. Die flexible Schulanfangsphase wurde beispielsweise zunächst für alle Grundschulen verordnet, jetzt können Schulen auf Antrag davon wieder Abstand nehmen. Das ist eine merkwürdige Reihenfolge, über die sich niemand aufregt. In Industrieunternehmen würde ein fundamentaler Wechsel in der Organisation und den Anforderungen am Arbeitsplatz durch eine Weiterbildung der Arbeitskräfte vorbereitet und begleitet. Im Bildungssystem scheint man darauf verzichten zu können. Dabei besteht kaum ein Zweifel daran, dass die allgemeine Richtung der strukturellen Neuorientierung nicht falsch ist, die Umsetzung ist allerdings katastrophal. Wenn der Senator erklärt, dass man bei einem Misserfolg der Maßnahmen auch alles oder vieles wieder zurücknehmen könne, wird fast schon Zynismus sichtbar, der sich dahinter verbergen könnte.

Die Zahl der Arbeitsplätze für wenig qualifizierte Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt angeboten werden, ist in Berlin angesichts der Qualifikation der möglichen Beschäftigten zu gering. Auch in diesem Sektor sind Bildungsinvestitionen wichtig. Es wären aber auch Arbeitsmarktprogramme wichtig, die mehr Arbeitsplätze in dem Sektor des Beschäftigungssystems schaffen, in dem geringer Qualifizierte benötigt werden.

In der Kulturpolitik müssen Entscheidungen gefällt werden, ob man lieber die großen Leuchttürme fördert oder mehr auf die alternative Szene setzt. Das kulturelle Profil der Stadt Berlin ist lange Zeit eher von der alternativen Szene bestimmt worden. Hier hat die Politik umgesteuert und setzt nunmehr auf Großereignisse. Das fördert vielleicht den Tourismus, geht aber zu Lasten der Lebendigkeit. Warum ist beispielsweise die Förderung der alternativen Theater so stark zurückgegangen? Welche der Parteien will sich für solche Fragestellungen engagieren?

Die Liste möglicher Themen lässt sich fortsetzen. Was erstaunt, ist dass keine der Parteien versucht, ihren Wahlkampf auf eins oder zwei dieser Themenfelder zu fokussieren, sondern alle den Eindruck erwecken, nicht mit einer thematischen Festlegung auffallen zu wollen. Das führt, wie auch das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern lehrt, zu einer niedrigen Wahlbeteiligung. Vielleicht sind die Parteien daran interessiert, weil sie hoffen, auf diese Weise einen Status zu sichern. Berlin hätte etwas Besseres verdient: Die Auseinandersetzung über die Zukunft der Stadt müsste offensiver geführt werden, als das der Fall ist. Vielleicht wäre es angesichts dieser Situation die beste Lösung, sich bei den Wahlen, aktiv der Stimme zu enthalten, indem man zur Wahl geht aber niemanden wählt sondern die Beteiligung verweigert.

Liebe Leserinnen, liebe Leser, neben der Möglichkeit, bei uns im Forum zu kommentieren und zu diskutieren (siehe die Kommentarfunktion etwas weiter unten auf dieser Seite), möchten wir Ihnen auch anbieten, uns ausführlichere Leserkommentare per E-mail zu schicken, bitte an leserbriefe@tagesspiegel.de. Bitte schreiben Sie "Leserkommentar" in die Betreffzeile der E-Mail.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false