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Bundesliga-Schiedsrichter Felix Zwayer bei seinem Einsatz in der Kreisliga B im Rahmen des Schiedsrichter-Aktionswochenendes. Doch die Gewalt nimmt kein Ende.

© dpa

Leserkommentar: Grundsatzdebatte über Gewalt im Sport

Unser Leser Florian Seibt ist Schiedsrichter in Berlin und hat selbst oft Gewalt miterlebt. Er fordert Verband und Vereine auf, endlich effektiv gegen die Eskalationen auf Berliner Amateurplätzen vorzugehen.

Der Berliner Fußball-Verband (BFV) reagiert nach neusten Gewaltvorfällen auf Berlins Sportplätzen mit ungewöhnlicher Aktion. Am selben Spieltag kommt es zu erneuten Ausschreitungen mit mehreren Verletzten. Betroffene fühlen sich alleingelassen. Gewalttätige Ausschreitungen hat es im Fußball immer gegeben, unabhängig von Spielklasse und Alter der Akteure. Doch in den vergangenen Wochen erreichten diese einen neuen Höhepunkt. So wurde beispielsweise der Schiedsrichter Gerald Bothe von einem Spieler des Tempelhofer TSV Helgoland schwer verletzt und musste mit Blutungen im Kopf in das Krankenhaus Friedrichshain gebracht werden, wie der Tagesspiegel berichtete. Zuvor überlebte der Unparteiische die Attacke lediglich, weil ein zufällig anwesender Mediziner vor Ort war und ihn vor dem Erstickungstod rettete.

Beim Spiel zwischen dem Hellerdorfer FC und dem 1. FC Berlin 06 II eskalierte die Situation nach einem Tor, wobei der Torwart den Schützen massiv körperlich angriff. In dem folgenden Durcheinander wurde u.a. Pascal Heidemann, selbst Schiedsrichter und Vorsitzender des FC Berlin ernsthaft verletzt, sodass er mit einem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus gebracht werden musste. Diese erschreckende Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Die aktuellen Gewaltvorfälle im Berliner Fußball nahm der Verband zum Anlass, eine Aktion zusammen mit Vereinen und Schiedsrichtern durchzuführen. Unter dem Motto: "Bedroht - Beschimpft - Geschlagen! Das Spiel fällt aus!" unterbrachen am 8. Spieltag sämtliche Schiedsrichter das Spiel für fünf Minuten, um auf die Problematik aufmerksam zu machen. Der BFV entwarf eine Muster-Stadiondurchsage, die auf den Plätzen verkündet werden sollte, außerdem wurden den Vereinen zahlreiche Flyer zur Thematik angeboten. Dies scheint ein erster überfälliger Schritt zum friedlichen Miteinander auf den Sportplätzen zu sein.

Bisherige Aktionen und Kampagnen waren wirkungslos

Warum erst jetzt in dieser Form reagiert wird, muss sich BFV-Präsident Bernd Schulz dennoch fragen lassen. Trotz BFV-Aufklebern mit dem Schriftzug „Gewalt Halt!“ in Berliner U-Bahnen und einer Arbeitsgemeinschaft Fairplay, konnte man der steigenden Aggressivität nicht entgegenwirken. Da wundert es auch nicht, wenn viele Mannschaften die aktuelle Aktion als willkommene Spielunterbrechung sahen, um taktische Anweisungen ihrer Trainer zu erhalten. Als wäre ein „freundliches Desinteresse“ an der Fairplay-Aktion nicht Schaden genug, drohten weitere Gewalttaten die Aktion wenige Minuten später zur Farce werden zu lassen. In der Futsal-Landesliga wurde dem Unparteiischen ins Gesicht geschlagen, in der Kreisliga B gingen Spieler und Zuschauer aufeinander los. Dabei wurde nach Zeugenangaben auch ein so genannter Teleskopschlagstock eingesetzt. Die Haupttäter konnten wie so häufig nicht ermittelt werden.

Innensenator Ehrhart Körting zeigte sich im Interview mit der Schiedsrichterzeitung „Der Junior“ im April 2008 skeptisch, ob überhaupt ein Gewaltproblem im Berliner Fußball bestehe. So sei es „in erster Linie Aufgabe der Vereine, für einen vernünftigen Ordnungsdienst während der Spiele zu sorgen“. Die Polizei dürfe lediglich „letzter Notnagel sein. Die Polizei ist in der Regel nicht für den Fußballplatz zuständig.“ Was Senator Körting dabei übersieht ist, dass sie in der Realität allerdings leider viel zu häufig benötigt wird. Auch darf man die Möglichkeiten der Profiklubs Hertha BSC und Union Berlin nicht annähernd mit denen der kleineren Vereine des Breitensports verwechseln.

Dem "rechtsfreien Raum Sportplatz" endlich wirksam begegnen

Die Ereignisse zeigen: Das Dreieck aus Fußballverband, Vereinen und Polizei funktioniert nicht mehr. Keiner der Beteiligten darf sich der eigenen Verantwortung in diesem Zusammenhang entziehen. Fairplay-Aktionen des Verbandes sind noch nicht effektiv, nur weil sie gut gemeint sind. Der BFV muss dem annähernd „rechtsfreien Raum Sportplatz“ endlich wirksam begegnen. Dazu zählt vor allem, die Sportgerichtsverhandlungen nach derartigen Attacken nicht als Alibiveranstaltungen verkommen zu lassen. Wie sollen sich beispielsweise Schiedsrichter und andere ehrenamtlich Tätige vom Verband geschützt fühlen, wenn betreffende Spieler oder Vereine mit 50 Euro Strafe davonkommen und sich dafür Opfer auch im Nachhinein um die eigene Sicherheit sorgen müssen? Gleichzeitig müssen Vereine wirksamer gegen potentielle Störer vorgehen. Es reicht nicht geschehene Vorfälle zu bedauern, vielmehr bedarf es eines klaren und aktiven Bekenntnisses gegen Beleidigungen und Gewalt auf dem Platz.

Verstärkt werden könnte z.B. die Praxis, Ordner stellen zu müssen. Dies müsste aber mindestens stichprobenartig vom Verband kontrolliert werden. In der Vergangenheit kam es beispielsweise vor, dass Ordner zwar gestellt werden mussten, auf dem Platz dennoch keine anwesend waren. Wir brauchen eine grundsätzliche und vor allem lösungsorientierte Debatte über den Umgang mit Gewalt im Berliner Sport, sodass wir mittelfristig wieder zu ausgewogenen Verhältnissen kommen und uns auf den Sport als solches konzentrieren können.

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