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Leserkommentar: Was lese ich da über Berlin?

Ein Leser verlangt einige Erläuterung zum Beitrag "Vorwärts, Berlin". Unser Autor antwortet ihm.

Soziologe Norbert Kostede will unter dem Titel „Vorwärts, Berlin!“ international anerkannte Konzepte und Entwicklungsstrategien für Berlin „schildern“. Was lese ich? Nicht erklärte und ausgeführte Sprechblasen wie „Konzept Global City“, „Konzept der Urban Geopolitics“, „Vision Creative City“, „kulturpolitische Overkill-Kapazität“. Und zum krönenden Abschluss „erwähnt“ Kostede, durch Zwischenüberschriften hervorgehoben, zwei „Strategien und Konzepte“, die von Menschen „mit Grips und Geistesgegenwart“ zum Wohle Berlins in „höchst kompliziertem Puzzle zusammengefügt werden müssen“: „Sustainable City“ und „Electronic City“.

Ich bin Jahrgang 1945, habe Abitur und studiert, aber keine Ahnung, was das ist. Norbert Kostede erklärt’s auch nicht, sondern nur, was es nicht ist, und dass das eine etwas mit „metropolitaner Antwort auf die Krise“ und mit „Green- Tech-Global-Market“ und das andere etwas mit „Kollaborations- und Steuerungstechnologien“ und „Ressourcen für Face-to-face-Service“ zu tun haben muss. Na denn vorwärts und Victoria!

Bernhard Jahntz, Berlin-Lichterfelde

Die Antwort des Autors lesen Sie auf Seite 2.

Sehr geehrter Herr Jahntz,

Um komplexe Sachverhalte möglichst rasch darzustellen, bedienen sich nicht allein Sozialwissenschaftler zuweilen einer Fachsprache, die Laien häufig verzweifeln lässt. Ich nehme an, dass auch Sie in Ihrem Berufsleben vergleichbare Erfahrungen gemacht haben. Nur gut, dass moderne Gesellschaften über einige Berufe verfügen, deren oberste Pflicht es ist, komplexe Sachverhalte so einfach wie möglich darzustellen – darunter den des Journalisten. Da ich auch diesen erlernt habe, antworte ich Ihnen mit einem Mea culpa und versuche es erneut.

Die Leitfrage meines Beitrags hieß: Wie kann sich Berlin zukünftig im Wettbewerb der großen Metropolen behaupten? Und meine Kritik an der politischen Führung dieser Stadt lautete: Sie ist zu sehr auf die (eng miteinander verwobenen) Konzepte „Kulturmetropole“ und „Kreativwirtschaft“ fixiert. Beide wurden im Text erläutert. Berlin muss sich also wesentlich breiter aufstellen, um im 21. Jahrhundert den Status einer „Weltstadt“ zu verteidigen.

In meinem Beitrag kamen insgesamt fünf Stadtentwicklungskonzepte zur Sprache. (Tatsächlich gibt es davon ein gutes Dutzend, die abzuwägen und zu kombinieren wären.) Für diese Konzepte haben sich in der internationalen Debatte englische Fachbegriffe etabliert, die ein Verständnis möglicherweise erschweren – lassen wir sie beiseite.

Um die Stoßrichtung meines Beitrags so einfach wie möglich zu formulieren: Was Berlin braucht, ist eine verstärkte und ökologisch ausgerichtete Forschungs-, Technologie- und Industriepolitik, um auf globalen Zukunftsmärkten erfolgreich zu sein; ist eine Verankerung in mitteleuropäischen Wirtschaftskreisläufen, die auf intelligenten Waren- und Dienstleistungsangeboten beruht; ist ein umfassender Einsatz neuer Kommunikationstechnologien, um bürokratische Prozesse abzubauen; ist vor allem mehr Mut, die städtische Infrastruktur und Lebensweise nachhaltiger, umweltverträglicher zu gestalten.

Nach meiner Meinung zählt alles dies genauso zu den großen strategischen Herausforderungen Berlins wie die Konzepte „Kulturmetropole“ und „Kreativwirtschaft“.

Sicherlich, allein mit einer wirtschaftlichen, technologischen und ökologischen Modernisierung Berlins wäre noch lange nicht der stolze Titel einer „Weltstadt“ gerechtfertigt und gesichert. Denn diese Modernisierung wird in den kommenden Jahren von unzähligen sozialen Konflikten, Einschränkungen und Aggressionen begleitet sein, in denen das neue Berlin erst beweisen muss, dass es die wertvollste Hinterlassenschaft des alten Berlin zu erhalten weiß – seinen Freiheitssinn.

Dies ist ein Aspekt, der in meinem Beitrag sicherlich zu kurz kam. Und auch an dieser Stelle kann ich nur (Achtung Schleichwerbung) auf meinen Essayband „Berlin – Intellektuelles Profil einer Weltstadt“ verweisen, der sich mit diesem Erbe näher befasst.

Wie immer die Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September 2011 ausgehen wird: Auf jeden Regierenden Bürgermeister, gleich ob Mann oder Frau, wartet die Aufgabe, all den schönen Plänen und Ideen zur Zukunft Berlins, mit denen uns die Parteien gegenwärtig beglücken, einen libertären Geist einzuhauchen. Denn auch unter den völlig neuartigen Bedingungen des 21. Jahrhunderts muss es heißen: „Freies Berlin".

Dr. Norbert Kostede, Autor und Publizist veröffentlichte zuletzt den Essayband „Berlin – Intellektuelles Profil einer Weltstadt“, Metropolitan Transfer Verlag, Berlin 2011, 120 Seiten, 7 Euro

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