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Libyen: Patt in der Wüste

Misrata kämpft verzweifelt gegen die Übermacht Gaddafis. Noch ist offen, ob die Zeit dem Diktator oder dem Westen in die Hände spielt - und zu welchen Maßnahmen die Natopartner noch greifen werden.

Misratas Aufständische flehen um Hilfe. Ohne ausländische Soldaten, sagen sie, sind die Tage ihrer verzweifelt verteidigten Bastion gezählt. Zehntausende Mitbewohner sind schon geflohen. Die Zahl der Toten und Verwundeten erreicht inzwischen die Dimensionen eines Krieges. Libyens Volksaufstand gegen Muammar Gaddafi ist zu einem blutigen Inferno geworden – und es ist kein Ende in Sicht. Das Regime gibt sich demonstrativ sicher, den Machterhalt zu schaffen. Die Bewohner von Tripolis wagen nicht den Aufstand. Und die 1000 Kilometer entfernten Rebellen aus dem Osten haben ihre Kräfte überschätzt. Die Zahl ihrer übergelaufenen Soldaten und Offiziere ist gering, das Schießgerät Sowjetschrott aus Zeiten des Kalten Krieges und davor. Die Nato wiederum agiert wegen ihrer politischen Zerstrittenheit militärisch wenig effektiv. Ihre Flugzeuge erscheinen zwar am Himmel über der zerschossenen Stadt. Warum sie die bulligen Grad-Raketenwerfer, die Misrata umzingeln, nicht abschießen, bleibt ein Rätsel. Meist drehen die Kampfjets wieder ab, während Gaddafis Truppen am Boden die Geschütze nachladen.

Und so gibt es knapp fünf Wochen nach der UN-Resolution 1973 inzwischen mehr Fragen als Antworten. Gaddafis Machtbasis ist noch erstaunlich intakt. Mit aller Waffengewalt versucht er momentan, den Westen Libyens wieder unter seine Kontrolle bringen. Die wichtigsten Ölhäfen des Landes haben seine Truppen in der Hand, um Misrata schließt sich der Belagerungsring. Ob Gaddafis Machtkalkül allerdings aufgeht, kann heute niemand sagen. Zwar hat der seit 42 Jahren regierende Despot wie kaum ein Zweiter Erfahrung mit internationaler Isolation. Doch diesmal sind die Sanktionen von anderem Kaliber als in den 80er und 90er Jahren. Der Ölverkauf ruht, die Finanzmittel sind eingefroren, vor Libyens Küste kreuzen Schlachtschiffe, auch wenn China und die Türkei wegen ihrer lukrativen Bauaufträge nur darauf warten, die Arbeit an Libyens Gigaprojekten wieder aufzunehmen. Zudem scheint es nach all den inneren Verwüstungen ausgeschlossen, dass Libyen mit Gaddafi jemals wieder in eine zivile Alltagsnormalität zurückfindet.

Und so steht die Weltgemeinschaft vor einem Dilemma. Sie kann jetzt nicht den stillen Rückzug antreten und das geschundene Libyen mit seiner faktischen Teilung und seinem militärischen Patt sich selbst überlassen. Genauso wenig kann sie aufseiten der Rebellen mit Bodentruppen in den Bürgerkrieg ziehen.

Italien, Frankreich und Großbritannien wollen nun erstmals Militärberater schicken. Gleichzeitig denken ihre Regierungschefs laut über Bewaffnung und Training der Regimegegner nach. Moderne Waffen aber können in dieser Region rasch in falsche Hände geraten. Libyer waren im Irak ein beträchtliches Kontingent unter den Al- Qaida-Gotteskriegern, die im gesamten Sahara-Gürtel unterwegs sind. Und Luftabwehrraketen in den Händen von Bin-Laden-Kämpfern, das mag man sich gar nicht vorstellen.

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