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Meinung: Liebes Christkind

Drei Wünsche, die der Wissenschaft hoffentlich erfüllt werden

Alexander S. Kekulé Erstens möchte ich Dich bitten, uns Forscherkollegen endlich mit einem Geistesblitz für die Krebstherapie zu beglücken (Auslieferung bitte zuerst an mich, wenn’s geht). Seit Jahrzehnten doktern wir nun schon mit Stahl, Strahl und Chemotherapie herum. Wer rechtzeitig operiert wird, hat jetzt zwar eine gute Chance auf Heilung. Auch in der Chemotherapie von Leukämien im Kindesalter ist ein Durchbruch gelungen – vielen Dank! Doch bei den häufigsten Krebsarten helfen all die teuren Therapien nichts – Patienten mit metastasierendem Darm-, Brust- und Prostatakrebs haben seit Jahrzehnten unverändert kurze Lebenserwartungen. Die meisten der jährlich 200 000 Krebstoten in Deutschland hätten ohne den Medizinapparat genauso lang – oder kurz – gelebt.

Das liegt vor allem daran, dass wir nach wie vor keine Ahnung haben, wie Krebs entsteht. Als wir in den 80er Jahren die „Krebsgene“ entdeckten, dachten wir, den Feind endlich zu durchschauen – in wenigen Jahren sollten revolutionäre Therapien entwickelt sein. Dann hofften alle auf die „monoklonalen Antikörper“, die gezielt Krebszellen töten sollten. Derzeit ist die Blockierung „zellulärer Kommunikationswege“ das heiße Thema unter Onkologen und eine Geldkuh für die Pharmafirmen. Derweil meldet die Grundlagenforschung allerdings, Krebsgeschwüre entstünden aus Stammzellen. Weil die gegen Strahlen und Chemotherapie resistent sind, wären dann die meisten Therapien umsonst gewesen – jedenfalls für die Patienten.

Zweitens wünsche ich mir endlich ein Mittel gegen Viruskrankheiten. Gegen Bakterien haben wir ja seit den 40er Jahren ein wachsendes Arsenal hoch wirksamer Antibiotika. Die meisten stammen von anderen Bakterien oder Pilzen, die sich seit der Vertreibung aus dem Paradies gegenseitig bekriegen. Doch Viren sind im Mikrokosmos keine Nahrungskonkurrenten, weil diese untoten Fieslinge überhaupt nichts fressen. Deshalb können wir Wirkstoffe gegen Viren nicht einfach von den Mikroben abkupfern, sondern müssen sie selbst erfinden.

Ideen hatten wir ja einige, besonders im Kampf gegen Aids. Nur drei Jahre nach Bekanntwerden der ersten Fälle 1981 war das Virus identifiziert, kurz darauf kamen die ersten Medikamente. Doch die können bis heute das Aidsvirus nur mehr oder weniger gut eindämmen, nicht vollständig abtöten. Bei anderen Viren, von Hepatitis über Influenza bis zum Schnupfen, ist das genauso: Das Immunsystem muss den Eindringling letztlich selbst eliminieren, sonst hilft auch kein Medikament – zumindest keines von denen, die wir bis jetzt erfunden haben.

Mein dritter Wunsch ist der wichtigste: Bitte hilf den Menschen, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen Konsequenzen zu ziehen. Du hast uns schon so viele schöne Forschungsergebnisse geschenkt, die keiner beachten will. Zum Beispiel kennen die Menschen seit Jahrzehnten den Treibhauseffekt – doch unternehmen sie so gut wie nichts dagegen. Auch dem Artensterben sehen sie tatenlos zu. Sie wissen, dass Rauchen und Dicksein krank macht und paffen und futtern weiter. Labore entwickeln Mittel gegen Seuchen, die die Bedürftigen nicht erreichen.

Liebes Christkind, Du wirst Dich vielleicht wundern, diesen Brief von einem Naturwissenschaftler zu bekommen, denn ich bin natürlich überzeugter Atheist. Aber ich habe gehört, dass Du zu Weihnachten auch denen hilfst, die nicht an Dich glauben.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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