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Meinung: List und Last der Unvernuft

Die FDP spielt Königsmacher – das kann schief gehen

Von Hermann Rudolph

Auch dieser Wahlkampf hat seine Gewissheiten – und zwar so unbezweifelbare, dass sie in der Auseinandersetzung fast nicht vorkommen. Im Besitz dieser Gewissheit befand sich lange die FDP: Wer immer am Ende den Kopf vorn haben wird, Schröder oder Stoiber, die SPD oder die Union, gewinnen wird am Ende die FDP. Das hat weniger mit der Partei der Westerwelle und Möllemann und wem-eigentlich-noch zu tun als mit Adam Riese, dem Rechenmeister. Jede neue Regierung braucht eine Mehrheit, also einen Mehrheitsbeschaffer, jeder Kanzler einen Königsmacher. Was der 22.September auch bringen wird – mitregieren wird die FDP, ob das den Wählern, den Kommentatoren und den Konkurrenten nun gefällt oder nicht.

Und deshalb ist es die interessanteste Veränderung der letzten Tage, dass selbst auf diese Konstante möglicherweise kein Verlass mehr ist. Verliert aber die FDP ihre Königsmacher-Qualität, ist ihr halber Kurswert an der Wahl-Börse verloren. Weshalb soll man sie dann wählen? Dass sich die Partei aufführte wie ein wildgewordenes start-up-Unternehmen, einschließlich 18-Prozent-Größenwahn und entschlossenem Surfen auf den Wellenkämmen des Zeitgeistes, hat ja diese Frage nicht einfacher gemacht. Die Antwort lag vor allem in der Kalkulation, dass die FDP damit Wählerschichten erreichen werde, die sie im Parteiengefüge wieder zur dritten Kraft machen würde. Und in der Hoffnung, dass damit die künftige Koalition eine politische Beimischung bekäme - ein bisschen mehr ökonomischer Liberalismus, ein Quäntchen Störrischkeit gegen allzu viel Union oder SPD, ein Eigensinn, der sich als Tarier-Gewicht im Regierungsalltag als nützlich erweisen könnte.

Geht diese Wahlkampf-Strategie auf oder steht sie vor dem Scheitern? Es liegt auf der Hand, dass die kleinen Parteien in einem Wahlkampf, der ganz auf die Konkurrenz zweier Großparteien, ja eines Zweikampfs ihrer Protagonisten gestellt ist, in Gefahr sind, zerquetscht zu werden – zumal in der Endphase, in der sich die Fronten zuspitzen. Erst recht gilt das im Falle der FDP, die auf Koalitions-Festlegungen verzichtet hat, weil sie Sympathisanten bei beiden Großparteien gewinnen will. Da muss sie sich nicht wundern, dass ihr Union und SPD diesen Platz koalitionspolitischer Äquidistanz streitig machen – die einen mit dem Drängen auf eine Koalitionszusage, die anderen mit der Demonstration der Distanz. Es ist alles andere als sicher, ob diese Logik des FDP-Wahlkampfs trägt. Man könnte sie eine List der Unvernunft nennen. Greift sie nicht, bleibt nur die Unvernunft. Ob die Partei mit ihrem Kurs Erfolg hat, hängt vor allem davon ab, dass sie ihr Profil als Wirtschafts- und Rechtsstaatspartei erkennen lässt. Das hat sie ja auch noch.

Es kommt hinzu, dass die FDP in Gefahr ist, sich in ihrer Taktik zu verfangen. Der antistaatliche Affekt, auf den sie setzt – neuerdings attraktiv markiert mit der Absage an die Steuerreform-Verschiebung zur Finanzierung der Flutschäden – hat seine Bedeutung als Korrektiv, aber er trägt keine gesamtstaatliche Politik. Sich auf diese Position zu versteifen, sie gar zur Bedingung für eine Koalition zu machen, heißt die eigenen Kräfte zu überschätzen und der Attitüde der Eigenständigkeit die eigenen Wirkungsmöglichkeiten zu opfern. Das führt geradewegs in die Opposition – oder zum Umfallen, dem alten FDP-Albtraum. Findet die FDP den Ausweg? Der Parteitag am Wochenende bietet eine letzte Möglichkeit. Wenn sie es will.

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