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Meinung: Lobrede auf einen Ostwestler

Von Harald Martenstein

Wenn man über Menschen nachdenkt, zum Beispiel, weil es um eine Ehrung geht, dann sollte man versuchen, das Wesentliche herauszufinden und das Besondere. Das Wesentliche und Besondere an dem Dichter Wolf Biermann besteht ganz sicher nicht in der Frage, ob man mit ihm politisch immer einer Ansicht ist und ob man jedes seiner Werke für gelungen hält. Seine Ansichten hat Biermann, wie viele von uns, im Laufe der Jahrzehnte mehrmals geändert. Zum Beispiel wurde er vom linken Anti-Springer-Sänger zum Springer-Autor und vom Rudi- Dutschke-Freund zum George- Bush-Anhänger. Sein Oeuvre ist, wie bei vielen Künstlern, von schwankender Qualität.

Das Besondere an Biermann besteht darin, dass er, jahrelang, der einzige wirklich gesamtdeutsche politische Künstler war. Mit seinem offensiven Individualismus als Bohemien und Freigeist war er in der DDR quasi ein Westler. Biermann klang immer nach Gedankenfreiheit, sogar dann, wenn er den Marxisten herauskehrte. Biermann war das Gegenteil von Parteidisziplin. Im Westen dagegen wurde er lange als besonders raffinierter Kommunist und als Verteidiger der DDR-Errungenschaften wahrgenommen. Deswegen schaffte er es, jahrelang, in beiden Staaten gleichzeitig ein Oppositioneller zu sein und in beiden Staaten ein Jugendidol.

Natürlich gibt es viele Künstler, in deren Lebensläufe sowohl die DDR als auch die BRD eingewoben sind und die in beiden Staaten eine Rolle spielten. Aber diesen Spagat schaffte eben nur er, Biermann, der im Osten offiziell als Agent als Westens betrachtet wurde und den man im Westen als Agenten des Ostens verdächtigte, der in WestBerlin ein Rebell gegen den Kapitalismus zu sein schien und in Ost-Berlin ein Rebell gegen das Politbüro.

1989, als die Deutschen einander neu kennenlernten, waren die Platten von Biermann eine der Gemeinsamkeiten. Wahrscheinlich ist keine deutsche Künstlerbiografie so eng mit der Teilung verbunden – und hat, sarkastisch gesprochen, so sehr von ihr profitiert. Als die DDR ihn in der Chausseestraße in seiner Wohnung einsperrte, da wuchsen, wie Pflanzen in einem Treibhaus, Biermanns Talente und sein Ego ins Unermessliche.

Dadurch wurde er groß, er hatte sein Thema gefunden und sein Leid, an dem er sich abarbeitete. Deshalb gibt es keinen Künstler, zu dem die Ehrenbürgerschaft der Ostweststadt Berlin besser passt als zu dem Ostwestler Wolf Biermann.

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