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Meinung: LOCKERUNGSÜBUNGEN ZUM WAHLKAMPF Lob des politischen Gauners

Von Harald Martenstein In einer Zeitung hat gestanden, welchen Kosen Edmund Stoiber seiner Ehefrau gegeben hat. Er nennt sie „Muschi".

Von Harald Martenstein

In einer Zeitung hat gestanden, welchen Kosen Edmund Stoiber seiner Ehefrau gegeben hat. Er nennt sie „Muschi". Warum lassen die bei der CSU zu, dass so etwas Dämliches über ihren Kandidaten herauskommt? Haben die keine PR-Berater?

Deutschland diskutiert also die Muschi-Frage. „Aber nein", sagte eine Kollegin, „das ist doch nicht dämlich. Das ist das Netteste, was ich über Stoiber jemals gehört habe." Der Kosename beziehungsweise seine in aller Unschuld vorgenommene Veröffentlichung beweisen, dass Stoiber keine Ahnung davon hat, welches vielschichtige Assoziationsfeld das Wort „Muschi" im deutschen Sprachraum umgibt. „Stoiber hat offenbar noch nie einen Softporno gesehen und er ist immer aufgestanden und weggegangen, wenn am CSU-Stammtisch die schmutzigen Witze erzählt wurden. Das ist doch sympathisch", sagte die Kollegin. Der Mann sei offenbar tatsächlich so, wie er sich gibt, er habe keinen doppelten Boden, und so weiter.

Echtsein kommt gut an. Falschsein kommt schlecht an.

Vor allem deswegen haben Rudolf Scharping die Mallorca-Fotos so sehr geschadet, der berühmte Pool mit Gräfin, damals in der „Bunten". Weil jeder wusste, wie falsch und kalkuliert die Sache ist. Scharping wollte mit Hilfe seiner Freundin beweisen, dass er locker ist. In Wirklichkeit hat er bewiesen, dass er falsch ist. Ganz schlecht. Naivität oder Langweiligsein verzeihen die Leute schon eher. Wenn du beides schaffst, also gleichzeitig ehrlich zu wirken und locker, dann hast du in der Politik natürlich den Jackpot gewonnen.

Guido Westerwelle fährt zur Zeit in einem Wohnmobil durch Deutschland, mit Schirmkappe, in kurzen Hosen. Der Versuch der Politiker, sich authentisch zu geben, als ganz normale Leute, als Guido Normalverbraucher, ist ein Balanceakt hart am Rande der Peinlichkeit. Wir, die Wähler, sind an diesem traurigen Schauspiel selber schuld. Die meisten Wähler verlangen bekanntlich, dass die Politiker bessere Menschen sind als sie selber. Die Politiker sollen so sein, wie die Wähler selber es gerne wären, gute, ehrliche, erfolgreiche Menschen. Verstehen Sie?

Es ist einfach zu viel Moral im Spiel. Je zynischer die Politik wird, desto moralischer wird sie in Wirklichkeit. Weil die Entmoralisierung die Politiker von dem Druck befreit, sich selber als jemanden zu inszenieren, der sie gar nicht sind. Wenn wir den Politikern sagen: Wir wissen, dass ihr Gauner seid, aber das ist nicht schlimm, wir sind ja selber welche – dann nehmen wir eine große Last von ihnen und geben ihnen eine faire Chance, echte Menschen zu werden.

Genau das wollen die Politiker den Wählern mit aller Kraft beweisen. Dass sie ganz normale Leute sind. Aber sie sind es nicht. Die Politiker leben unter ständiger Beobachtung, umstellt von tatsächlichen oder vermeintlichen Feinden, von meist falschen Freunden und Abstaubern und Profiteuren, sie müssen misstrauisch und von fast übermenschlichem Ehrgeiz sein, aber sie sollen ihren Ehrgeiz und sogar ihr Misstrauen verstecken, sie müssen ehrlich und unehrlich, offen und verschlossen sein und das alles immer in genau der richtigen Dosis, diese richtige Dosis aber müssen sie oft innerhalb von Sekundenbruchteilen erkennen, sonst sind sie verloren.

Ein normaler Mensch, so ein Durchschnitts-Schluri wie du und ich, könnte gar kein Politiker sein. Er würde ganz schnell wahnsinnig werden. Wer tatsächlich stundenlang im Pool planscht oder zum Spaß im Wohnmobil wochenlang durch Deutschland fährt, und zwar tatsächlich, nicht zum Schein, der ist für den Beruf des Politikers mit hoher Wahrscheinlichkeit ungeeignet. Jedenfalls zur Zeit, unter der Diktatur der Moral.

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