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Meinung: Lohn der Zurückhaltung

Die Kurden haben bisher alles richtig gemacht – jetzt hoffen sie auf Autonomie im Irak

Die Kurden im Nordirak haben sich in den vergangenen Wochen mit bemerkenswertem taktischen Geschick die beste Ausgangsposition für ihre Zukunft geschaffen. Die Führer der beiden großen Kurdengruppen zügelten ihre Rivalitäten sowie die eigene Anhängerschaft. Der Anspruch auf einen eigenen Staat wurde für eine kurdische Autonomie in einem neuen Irak zurückgestellt, um der Türkei keinen Grund zum Einmarsch zu liefern. Als sich Ankara durch das Nein zur US-Truppenstationierung dann Anfang März selbst um Einflussmöglichkeiten im Nordirak brachte, sprangen die Kurden ein und boten den USA ihre rund 70 000 Kämpfer als Streitmacht an.

Mit dieser Mischung aus Zurückhaltung und Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt haben die Kurden schon jetzt einiges erreicht. Die so genannte Nordfront hat auch ohne große amerikanische Truppenverbände ihren Zweck erfüllt: Sie hat über Wochen irakische Verbände gebunden und daran gehindert, an den Schlachten im Süden und in Bagdad teilzunehmen. Als die irakischen Soldaten sich an der Nordfront schließlich zurückzogen, stießen die Kurden vor und besetzten die beiden großen Städte Kirkuk und Mossul. Als treue Bündnispartner der USA versprechen sie nun, nicht weiter nach Süden vorzustoßen: Die militärischen Aufgaben der Kurden seien erfüllt.

Damit haben sich die Kurden eine wichtige Rolle im neuen Irak verdient: Sie können bei der Neuordnung des Landes einen kurdischen Bundesstaat im Norden großzügige Autonomierechte fordern. Doch damit sind die Probleme keineswegs gelöst. Insbesondere die Ölstadt Kirkuk zeigt, wie schwer es sein wird, eine Lösung zu finden. Die Kurden sehen Kirkuk als unverzichtbaren Bestandteil eines künftigen kurdischen Bundeslandes.

Doch nicht nur die Kurden erheben Anspruch auf die Stadt, sondern auch die Turkmenen, die dort bis vor wenigen Jahrzehnten die Bevölkerungsmehrheit stellten. Zehntausende Kurden und Turkmenen wurden in den vergangenen Jahren aus Kirkuk vertrieben, um die Stadt zu „arabisieren". Die Araber werden sich nun nicht ohne weiteres von den Rückkehrern vertreiben lassen. Schon gibt es die ersten Berichte über Tote nach der Befreiung. Alte Rechnungen werden beglichen, wie sie dort schon immer beglichen wurden: mit der Waffe.

Die reichen Ölvorkommen um Kirkuk komplizieren das Problem weiter, weil sie das gegenseitige Misstrauen steigern. Die Türkei sieht in einer kurdischen Verwaltung von Kirkuk einen Kriegsgrund, weil sie befürchtet, die Öleinnahmen könnten die wirtschaftliche Basis für einen Kurdenstaat bilden. Es wird sehr schwierig eine Lösung zu finden, die alle Beteiligten so weit zufrieden stellt, dass sie nicht wieder zu den Waffen greifen, wie in den letzten Jahrzehnten so oft. Selbst die USA als voraussichtlicher Sieger des Krieges gelten nicht bei allen Konfliktparteien als unparteiische Schiedsrichter – vor allem Turkmenen und Araber dürften erhebliche Vorbehalte gegen die Verbündeten der Kurden haben: Die USA sind den Kurden schließlich etwas schuldig.

Dennoch ist eine friedliche Lösung möglich. Der entscheidende Unterschied zwischen dem alten Irak und der Zeit nach Saddam Hussein ist, dass die Herrschaft der Gewalt ein Ende hat. Das muss den Irakern – seien es nun Kurden, Turkmenen oder Araber – aber erst einmal klar werden. Doch wenn es so weit ist, könnten sie etwa mit Hilfe der UN oder anderer internationaler Vermittler einen Weg finden, den alten Streit um Kirkuk gewaltlos beizulegen.

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